*+* Rafik Schami: „SOPHIA – oder der Anfang aller Geschichten“ *+*

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SOPHIA
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Liebe Lesefreunde,

Salman lebt seit vier Jahrzehnten in Rom und bekommt zunehmend Sehnsucht nach seiner Heimat. Er ist in Syrien geboren und aufgewachsen und hatte das Land damals nicht ganz freiwillig verlassen. Nach einem Verbrechen wurde Salman gesucht und in der Fremde ein neues Leben zu beginnen, erschien ihm viel sinnvoller als in der Heimat möglicherweise den verfrühtenTod zu finden.

Ich lebe nicht nur mein ganzes Leben lang in Deutschland, ich lebe auch schon immer in derselben Stadt. Als ich versuchte, mich in Salman hineinzuversetzen, fiel mir das zunächst sehr schwer. Alles Hals über Kopf verlassen, hinein in eine ungewisse Zukunft, ein fremdes Land, zu fremden Menschen und einer fremden Sprache und Kultur. Das stelle ich mir wirklich hart vor. Aber um zu überleben, würde ich natürlich auch jeden Strohhalm ergreifen…..und mich anschließend mehr und mehr nach meiner Heimat sehnen, meiner Familie, meinen Freunden, meiner Natur. Und es würde mich ebenso grämen wie Salman, wenn ich nicht zurückkehren könnte. Da Salman offiziell und öffentlich gesucht wurde und somit auf allen Fahndungslisten stand, wäre ein Nachgeben des Heimwehs sein sicheres Todesurteil gewesen.

„Er fühlte so etwas wie Glück, als er all diese Gegenstände aus seiner Vergangenheit sah, aber zugleich erkannte er, wie absurd die Vorstellung war, das er etwas von damals bewahren könnte.“

Endlich zeigte sich ein Lichtstreif am Horizont, denn nach mehreren Jahrzehnten schien auch die syrische Justiz etwas vergesslich geworden zu sein. Salman galt offiziell nicht mehr als Verbrecher und konnte aufatmen – und endlich sein altes Zuhause besuchen. Ich freute mich sehr mit ihm, aber Syrien ist nicht Deutschland und wo hier kleine Schottersteine den Weg bremsen und gefährden, sind es in seiner Heimat wahre Felsbrocken. Natürlich strahlte beim Wiedersehen mit seinem Land nicht nur die Sonne vom Himmel. Die unheillschwangeren Wolken zogen aus einer Richtung auf, mit der Salman nicht gerechnet hatte. Aber es nutzte nichts, mit dem Schicksal zu hadern. Man sagt ja so schön, Geschichte wiederholt ich und so galt es für Salman erneut, sein Leben zu retten….

Gemeinsam mit ihm erlebte ich eine aufregende Flucht durch das im Gegenteil zu seiner Jugend veränderte Land, erlebte Begegnungen mit Menschen, die vom herrschenden System eine ganz bestimmte Verhaltensweise an den Tag legten. Man tat nicht (mehr), was man gerne wollte, sondern man tat das, was einem seitens des Geheimdienstes und anderer Organisationen am wenigsten Ärger einbrachte.

„Die Menschen hier waren bei aller Freude unfrei. Sie sprachen viel, um das zu tarnen, was nicht gesagt werden durfte.“

Salmans Geschichte ist die große Erzählung, um die sich viele kleinere Erzählungen ranken – ähnlich wie ein Baum, der von vielen Efeuranken umwachsen wird. Dadurch springt der Autor in Zeit und Raum, woran ich mich erst gewöhne musste.

Der Leser erhält ausführliche Einblicke in jede von Salmans Lebensphasen, lernt seinen Charakter kennen, aber auch die Menschen, mit denen er zu tun hat(te) und die eine kleinere bzw. größere Rolle in seinem Leben spiel(t)en.

Eine der kleineren Erzählungen betrifft Karim, der bereits im Klappentext Erwähnung findet und dem gemeinsam mit Aida das erste Kapitel des Romans gewidmet ist. Karim, der so ganz anders ist als Salman, hat sich ebenso wie Aida schon mit diesen ersten Seiten in mein Herz geschlichen und diese herzlichen, mehr als menschlichen Passagen, die das Paar bestreiten durfte, waren meine Lieblingsstellen im Buch.

Warum das Buch seinen Titel trägt, wird erst recht spät erklärt, aber dass Sophia das entscheidende Verbindungsglied zwischen Salman und Karim darstellt, ist relativ früh klar.

„SOPHIA oder Der Anfang aller Geschichten“ ist das erste Buch von Rafik Schami, das ich gelesen habe und ich war schon nach den ersten Seiten sehr verzaubert. Obwohl viel Leid, Zwänge und Ungerechtigkeiten thematisiert werden, hat der Schreibstil etwas magisches für mich. Ich würde ihn nicht als märchenhaft bezeichnen, denn was hier beschrieben wird, entspricht der Realität und ist mit dem Zuklappen des Buches nicht weggewischt. Aber dieses komplexe Flechtwerk an Geschichten, gemalt in den verschiedensten Farben der Erzählkunst konnte mich sehr überzeugen und schnell in seinen Bann ziehen.

Über Syrien habe ich kaum Hintergrundwissen. Dennoch konnte ich die Schilderungen bezüglich Lage und Zustandes des Landes und auch der Situation der Bewohner gut nachvollziehen. Sehr beeindruckt bin ich, wie viel an eben diesen politischen und geschichtlichen Hintergründen Schami ganz nebenbei einfließen lässt, obwohl eindeutig die Menschen im Vordergrund stehen.

„Der Neid ist die aufrichtigste Form der Anerkennung“ (Wurde als Zitat von Wilhelm Busch verwendet)

Der Roman von Rafik Schami konnte mich neben dem wunderbaren Schreibstil auch durch den Inhalt überzeugen. Lediglich etwas unglaubwürdig und ziemlich dick aufgetragen habe ich empfunden, zu welcher Unwichtigkeit die Treue in einer Partnerschaft degradiert wurde und wie wenig tief vor allem in Bezug auf Salmans Person die Liebe angesehen und häufig zu Trieb und reiner Sexualität herabgestuft wurde. Diese Häufung an Affären unterbrach dann leider immer wieder den ansonsten magischen Lesefluss.

Der Autor erzählt sehr ausschweifend, was mich aber nicht im Geringsten störte. Im Gegenteil, es war eher so, das ich an Schamis Lippen, bzw. an seiner Schreibfeder hing, begierig, mehr über Land und Leute sowie Salmans verzweifelte Flucht zu erfahren.

„Die Armut, dachte Salman, ist der beste Dünger der Phantasie.“

Den Roman habe ich als sehr berührend, aber auch verstörend empfunden. Wenn man sein ganzes Leben lang Meinungs-, Religions- und andere Freiheiten gewohnt ist, stößt es sehr bitter auf, dass Menschen, um ihre Haut zu retten, nur äußerst selten das tun, was ihnen ihr Herz sagt. So sind sie oft klug genug, ihr Handeln „optimal“ an die Gegebenheiten anzupassen, auch wenn sie dadurch nicht immer gemäß den eigenen tiefen Wünschen handeln.

Rafik Schami liefert einen großartigen, komplexen und vielschichtigen Roman, in dem er nicht mit Kritik an Syrien spart und der somit ein sehr reliastisches Bild der gegenwärtigen Situation zeigt.

Inhalt
Ein Mord in Damaskus und eine Liebe, die Leben retten kann. Rafik Schami erzählt von der Macht der Liebe.

Als Mädchen war Sophia heftig in Karim verliebt, dennoch heiratete sie einen reichen Goldschmied. Als Karim jedoch unschuldig unter Mordverdacht geriet, rettete sie ihm das Leben. Wann immer sie ihn brauche, verspricht er, wird er ihr helfen, auch unter Lebensgefahr. Viele Jahre später kehrt Sophias einziger Sohn Salman aus dem Exil in Italien nach Damaskus zurück. Plötzlich entdeckt er sein Fahndungsfoto in der Zeitung und muss untertauchen. Jetzt erinnert sich Sophia an das Versprechen Karims, der im Alter eine neue Liebe gefunden hat. In seinem neuen Roman erzählt Rafik Schami von der Macht der Liebe, die Mut und Tapferkeit gibt, die verjüngt und die Leben retten kann.

Buch
„SOPHIA – oder Der Anfang aller Geschichten“ ist im August 2015 unter der ISBN-Nr. 978-3-446-24941-7 im Hanswr Verlag erschienen. Der Roman umfasst 480 Seiten uns ist auch als eBook und Hörbuch erhältlich.

Autor
Rafik Schami wurde 1946 in Damaskus geboren und lebt seit 1971 in Deutschland. 1979 promovierte Rafik Schami im Fach Chemie. Seit 2002 ist er Mitglied der Bayerischen Akademie der schönen Künste. Sein Werk wurde in 24 Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Preis „Gegen das Vergessen – Für Demokratie“ (2011) und dem „Hamburger Tüddelband“ im Rahmen des Harbour Front Literaturfestivals in Hamburg (2013). Im Hanser Kinderbuch erschien zuletzt Das Herz der Puppe (2012) und Meister Marios Geschichte (2013), im Erwachsenenprogramm des Verlages Die dunkle Seite der Liebe (Roman, 2004)  Das Geheimnis des Kalligraphen (Roman, 2008), Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte (2011) und Sophia oder Der Anfang aller Geschichten.
Quelle: Hanser Literaturverlage

Über irveliest

Wie ihr euch sicher schon denken könnt lese ich sehr gerne, am liebsten Krimis und Thriller, aber auch niveauvolle Romane, Kinder- und Jugendbücher. Meine Lieblingsbuchhandlungen sind unsere kleine Buchhandlung am Ort und zum ordentlichen Stöbern Thalia in der Nachbarstadt. Online stöbere ich am liebsten bei lovelybooks und auch bei Amazon nach Büchern...
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2 Antworten zu *+* Rafik Schami: „SOPHIA – oder der Anfang aller Geschichten“ *+*

  1. tinaherrlich schreibt:

    Was für eine schöne Rezension! :-) Damit wirst du Rafik Schami und seinem Werk wirklich gerecht!
    Mir hat an dem (Hör-)Buch auch so gefallen, dass Schami seinen – wie du schreibst – magischen Erzählstil beibehält und gleichzeitig ein aktuelles politisches Thema anspricht (und vertieft). Ich finde, man spürt beim Lesen sowohl seine Liebe zu seiner Heimat als auch seine kritische Sicht dazu.

  2. Pingback: Zitat zum Sonntag #36 aus “Sophia oder Der Anfang aller Geschichten” | super.lese.helden

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