*+* Claire Hajaj: „Ismaels Orangen“ *+*

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Liebe Lesefreunde,

Salim musste im Kindesalter sein Heim in Palästina verlassen. Dies ist besonders tragisch für ihn, da er deshalb seinen sehnlichsten Wunsch begraben muss, endlich die Orangen an dem zu seiner Geburt gepflanzten Baum zu ernten. Der Junge tat mir aufrichtig leid, jedoch war es wegen der politischen Lage unabdingbar – wir schrieben in dieser Phase des Buches 1948 -, die Heimat zu verlassen. Zunächst kommt Salim mit seiner Famile bei der älteren Schwester unter. Später wird er in Großbritannien heimisch, wo er studiert und die Liebe seines Lebens kennenlernt, Judit.

Judit und ihre Familie sind Juden und vor dem Holocaust nach Großbritannien geflohen. Auch sie musste die geliebte Heimat verlassen und tat sich – vor allem wegen ihres Glaubens – schwer, in dem fremden Land Fuß zu fassen und wahre, ehrliche Freunde zu finden. Auch ihr Schicksal berührte mich sehr. Es muss schlimm sein, sein gewohntes, gutes und sicheres Leben aufzugeben, nur um anschließend ständig die Steine aus dem Weg zu räumen, die einem vor die Füße gelegt werden.

Auf der Suche nach einem Seelenverwandten, der Nähe und Sicherheit schenkt, trafen Salim und Judit aufeinander. Die Wirkung auf den jeweils anderen war enorm und so wunderte es mich nicht , dass die Liebe ihre Saat in die beiden legte.

Das gemeinsame, tiefe Glück währte jedoch nur kurz, denn schon bald begann der Spießrutenlauf. Sie – Jüdin -, er – Araber – das konnte doch nicht gutgehen, oder? Überall waren Rechtfertigungen vonnöten und als die beiden sich endlich über dem Berg im sicheren Hafen von Liebe und Geborgenheit wähnten, traten Probleme von ganz anderer Seite auf.

Zunehmend fand sich Salim in dem Konflikt zwischen seinen Welten wieder. Auf der einen Seite seine Eltern und Geschwister, seine Herkunft, sein Glaube, seine Überzeugungen. Dazu der immer übermächtiger werdende Wunsch aus der Kindheit: Endlich die Orangen seines Baumes zu ernten.
Leider war es fast unmöglich, den alten Besitz zurück in seine Hände zu bekommen.

Auf der anderen Seite seine Familie. Seine Frau, die er einst so geliebt und die seine Ideale mit ihr geteilt hatte sowie die gemeinsamen Zwillinge, die sich leider nicht immer in seinem Sinne entwickelten.

Beeindruckend und facettenreich wird der Konflikt Palästinas mit Israel von 1948 bis hinein in die 8oer-Jahre gezeichnet. Teilweise sehr in die Tiefe gehend, was die Auswirkungen auf die Bevölkerung und vor allem die Flüchtinge bedeutete. Dieses sehr komplexe Thema wird gut in die Geschichte eingewoben, jedoch war es mir an einigen Stellen zu viel des Guten, was die politischen Hintergründe und vielen Details betraf.

Dennoch waren diese Informationen notwendig, um Salims Dasein und weiteren Weg in der Erzählung zu ebnen. Denn Salim durchläuft innerhalb der betrachteten Zeitspanne eine große Entwicklung – leider nicht zum Guten. Seine Liebe zu Judit und den gemeinsamen Kindern – einst brodelnd und brennend wie ein Vulkan – erkaltete zunehmend wie die Lava, die zudem all ihre Farbe verlor und erstarb.

Ich verstand den Mann, dessen Romanfigur mich zunächst sehr begeisterte und faszinierte, immer weniger. Seinen Beweggründen hätte mehr Beachtung zu mehr Verständnis verholfen. Ich konnte zwar nachvollziehen, warum er so handelte, wie er es tat, seine Beweggründe für die Entscheidung seines Ziels waren mir jedoch unverständlich. Da hätten mir mehr Einblicke in seine Seele und Gedanken gut gefallen. So wurde Salim leider immer undurchschaubarer, unsympathischer und fremder für mich.

Am Anfang tat ich mich etwas schwer, um in den Roman hineinzufinden, aber nachdem die Protagonisten alle ihren Platz gefunden hatten, gab es kein Halten mehr. Claire Hajaj hat einen sehr flüssigen Schreibstil, der mich zunehmend durch das Buch fliegen ließ. Zudem brannten mir immer mehr die Fragen unter den Nägeln:
Vergangenheit oder Zukunft?
Seine Herkunft oder seine Familie?
Wofür würde Salim sich wohl entscheiden?

Inhalt:
Jaffa, April 1948. Der siebenjährige Salim Al-Ismaeli, Sohn eines palästinensischen Orangenzüchters, freut sich darauf, die ersten Früchte des Orangenbaums zu ernten, der zu seiner Geburt gepflanzt wurde. Doch der Krieg bricht aus und treibt die ganze Familie in die Flucht. Von nun an hat Salim nur noch einen Traum: Eines Tages zu seinem Baum zurückzukehren und im Land seiner Väter zu leben.

Zur selben Zeit wächst Judith als Tochter von Holocaust-Überlebenden in England auf – und sehnt sich danach, irgendwann ein normales und glückliches Leben führen zu dürfen. Als Salim und Judith sich im London der Sechzigerjahre begegnen und ineinander verlieben, nimmt das Schicksal seinen Lauf und stellt ihre Liebe auf eine harte Probe …

Zum Buch:
Ismaels Orangen“ von Claire Hajaj ist im März 2015 unter der ISBN-Nr. 978-3-7645-0516-5 im Blanvet Verlag erschienen. Der Roman umfasst 448 Seiten und ist auch als Ebook, Audio-CD und Hörbuch-Download erhältlich.

Autorin:
Claire Hajaj, 1973 in London geboren, hat ihr bisheriges Leben zwischen zwei Kulturen, der jüdischen und der palästinensischen, verbracht und versucht, sie zu vereinbaren. In ihrer Kindheit lebte sie sowohl im Nahen Osten als auch im ländlichen England. Sie bereiste alle vier Kontinente und arbeitete für die UN in Kriegsgebieten wie Burma oder Baghdad. Sie schrieb Beiträge für den BBC World Service, außerdem veröffentlichte sie Artikel in Time Out und Literary Review. Ihren Master in Klassischer und Englischer Literatur hat sie in Oxford gemacht. Zur Zeit lebt sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Beirut.
Quelle: Randomhouse

Über irveliest

Wie ihr euch sicher schon denken könnt lese ich sehr gerne, am liebsten Krimis und Thriller, aber auch niveauvolle Romane, Kinder- und Jugendbücher. Meine Lieblingsbuchhandlungen sind unsere kleine Buchhandlung am Ort und zum ordentlichen Stöbern Thalia in der Nachbarstadt. Online stöbere ich am liebsten bei lovelybooks und auch bei Amazon nach Büchern...
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11 Antworten zu *+* Claire Hajaj: „Ismaels Orangen“ *+*

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  2. Tintenelfe schreibt:

    Ich fand es besonders gut, dass Claire Hajaj die politischen Hintergründe mit einbezogen hat. Ohne geht es nicht, und eigentlich hat sie nur die wichtigsten aufgegriffen. Sicher muss man sich noch ein wenig einlesen, wenn man zum Beispiel noch nie von „Deir Yassin“ gehört hat, aber ich bin sehr froh, dass dieses ausgelöschte Dorf, das starken Symbolcharakter hat und als ein Auslöser (von vielen) für die Flucht hunderttausender Palästinenser steht, in ihrem Buch Erwähnung findet. Andererseits gelingt es ihr, gerade die politischen Umstände neutral zu betrachten und ihnen auch nicht allzu viel Gewicht und Raum zu verleihen.
    Es ist richtig, dass Salim sich zu seinem Nachteil verändert. Ich kann das sehr gut nachvollziehen. Zu diesem Zeitpunkt im Buch befand ich mich allerdings schon viel mehr bei den Kindern, die zwischen den Kulturen hin und her gerissen werden. Etwas, das ich persönlich ebenfalls sehr gut nachvollziehen kann.
    Ich freue mich aber sehr, dass du dem Buch eine Chance gegeben hast. :-)

    Ich meine, dass Judith nicht die Tochter Überlebender des Holocaust ist. Ihre Großmutter väterlicherweits ist 1903 aus dem russischen Zarenreich nach Großbritannien geflohen und hat an Bord des Schiffes den Großvater kennengelernt. Ich kann mich an keine Hinweise erinnern, dass die Mutter Opfer des Holocaust gewesen sein soll. Die adoptierte Halbschwester Gertie jedoch hat ihre Familie im Holocaust verloren. Eigentlich komisch, dass der Verlag das in den Klappentext schreibt. Ist mir jetzt erst aufgefallen, da ich ja keine Klappentexte lesen. :-)

    Liebe Grüße
    Mona

    • Tintenelfe schreibt:

      Ach Quatsch, Halbschwester. Sie ist doch gar nicht verwandt. Adoptivschwester müsste es heißen. :-)

    • irveliest schreibt:

      Liebe Mona,
      wichtig waren die politischen HIntergründe auf jeden Fall, es hing ja sehr mit dem Privaten zusammen. Ich habe nur nicht so viel Hintergrundwissen und hätte es halt besser gefunden, wenn dieses Politische für so Wenigwissende wie mich verständlicher in die Geschichte getragen wäre. So war e sahlt manchmal sehr komprimiert, aber egal. Worum es ging, habe ich verstanden.
      Bei Salim habe ich nicht nachvollziehen können, warum er sich so sehr für seine Wurzeln entschieden hat. Dass die Wurzeln wichtig sind, stelle ich außer Frage, aber es blutete mir das Herz, dass seine Familie, seine Zukunft, die Kinde,r die Liebe, keine Chance mehr bei ihm hatten, er nur noch fast fanatisch sein einziges Ziel verfolgt hat.
      Dass, Judit ihre Vorfahren im Holocaust verloren hat, habe ich auch nicht in Erinnerung. Ich hatte es so verstanden, dass sie mit ihrer Familie vor der Gefahr dieses Todes nach England gegangen ist,
      Echt, du liest keine Klappentexte?
      LG und ich wünsche dir eine schöne Woche,
      Heike

      • Tintenelfe schreibt:

        Okay, ich fand es wohl nicht unverständlich, weil ich mit Begriffen wie dem Sechs-Tage-Krieg, der Balfour-Deklaration usw. aufgewachsen bin. Was Salim betrifft, so denke ich, dass Claire Hajaj hier ihre Familiengeschichte verarbeitet. Vielleicht braucht man einen so dringenden Grund, um zu verstehen, warum ein Vater seine Familie verlässt. Ich bin der Meinung, dass die Wurzeln ganz entscheidend für einen Menschen sind und etwas, das man nie ablegen kann. Es hat auch etwas damit zu tun, ob und wie man „aus seiner Haut“ kann. Salim wurde immer nur herumgestoßen, so empfindet er es zumindest, war nie irgendwo zu Hause außer in Jaffa. Er ist nicht nur Vertriebener, sondern auch Getriebener. Er muss ein Ziel haben oder vollends kaputt gehen. Der kulturelle Konflikt innerhalb der Familie kommt da noch hinzu. Er fühlt sich irgendwann auch hier von Frau und Kindern ausgeschlossen. Wenn zwei Kulturen innerhalb einer Familie aufeinandertreffen, ist das nie einfach. Nur Liebe allein reicht da nicht. Es sind immer sehr viele Kompromisse nötig und auch „aus seiner Haut“ zu können. Für denjenigen, der dabei nicht in seiner Heimat lebt, ist das ungleich schwerer, vor allem wenn die kulturellen Unterschiede sehr groß sind. Er hat die Wahl sich selbst aufzugeben und assimilieren zu lassen oder ständig eigene Werte in Frage stellen zu lassen und Kompromisse zu suchen oder eben sich ganz fest an die eigene Kultur zu klammern, was dann auch fanatisch werden kann.
        Für die Kinder ist das auch immer ein Balanceakt, weil sie es eigentlich jedem recht machen möchten. Ich habe beim Lesen immer Familien vor Augen gehabt, auch und vor allem meine eigene.

        Ganz liebe Grüße
        Mona

      • irveliest schreibt:

        Ja, die Wurzeln sind wichtig. Jedoch war Salim bei seiner Heirat wohl nicht klar, dass er Kompromisse schließen müsen würde, um es mal so auszudrücken. Er hat sich mit jemandem anderen Glaubens, aus einer ganz anderen Kultur, eingelassen. Dass man sich dann im gewissen Maß anpassen muss, um das Glück der neuen Familie nicht zu gefährden, war ihm nicht bewusst. Vielleicht war es das, was mich so gestört hat. Er war mit Scheuklappen auf seine Wurzeln fixiert und sah die wundervolle eigene Familie nicht mehr als wertvoll genug an, sich für sie hinzugeben.
        Aber da ich bisher weder durch meine eigene Familie noch durch Freunde und Bekannte diesen Konflikt kenne, ist es wahrscheinlich sehr viel schwerer nachzuvollziehen, als wenn man selbst in welcher Form auch immer selbst betroffen ist.
        Wenn Liebe allein reichen würde, das wäre schön in dieser Welt :-)

  3. zimttraeumereien schreibt:

    Bin schon so gespannt drauf :)

  4. Pingback: “Ismaels Orangen” – Eine zarte Buchpflanze von Claire Hajaj | AstroLibrium

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