Liebe Lesefreunde,
habt ihr euch schon mal Gedanken über euer Gehirn gemacht? Ich nicht, also nicht so wirklich. Ich wusste natürlich, dass so ziemlich alles, was unseren Körper betrifft, von dort aus gesteuert wird. Aber dass das Gehirn flexibel ist, leicht form- und veränderbar, was dann natürlich Auswirkungen auf unser Verhalten und die körperlichen Aspekte haben kann, war mir völlig neu.
Neuroplastizität heißt das Zauberwort. Der Autor beschreibt dieses Phänomen anhand vieler Beispiel sehr gut verständlich.Man mag geneigt sein, es für Hexerei oder Magie zu halten und das Gelesene mit einer läppischen Handbewegung wegzuwischen, wären da nicht die großartigen Hintergrundinformationen des Autors. Er beschreibt einzelne Fallstudien, führt viele Experimente an und untermauert sein Werk mit einem hohen Maß an fundiertem, sachkundigem Fachwissen.
Wie einige von euch wissen, bin ich naturwissenschaftlich und medizinisch interessiert und so war es klar, dass mich diese Aussagen des Rückentextes mehr als neugierig machten: „Depressionen, Epilepsie, Schlaganfälle und ADS lassen sich kontrollieren, und zwar nur durch Lernen und ohne risikoreiche Medikamente…..“
Ich war begeistert, völlig fasziniert – vor meinem inneren Auge explodierten die Möglichkeiten weiterer Einflussnahmen auf menschliche „Fehlzustände“ – aber auch etwas ungläubig, denn das alles klang zu schön, um wahr zu sein. Aber Niels Birbaumer ist studierter Psychologe und Neurophysiologe und leitet das Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie an der Universität Tübingen. Der Mann weiß also, wovon er spricht!
„Pantha rhei – Alles fließt“
Anhand vieler Beispiele erklärt Niels Birbaumer die Neuroplastizität des menschlichen Gehirns. Er betrachtet Krankheiten und Fehlverhalten aus einer dem Durchschnittsbürger völlig neuen Sicht und legt sowohl die Grundlagen für die Entstehung der Fehlfunktion dar als auch mögliche Wirkungen einer Therapie im Bereich Neurofeedback. Dieser wissenschaftlche Zweig steckt trotz aller Erfolge noch in den Kinderschuhen, aber schon jetzt sind die beschrieben Auswirkungen für meine Begriffe bahnbrechend. Noch sind längst nicht alle Einsatzgebiete offenbart und ich bin sehr gespannt, welche Erfolge auf breiter Ebene die Ausnutzung der Neuroplastizität uns erwarten werden.
„Was wir aber mehr und mehr begreifen: Das Gehirn kann sich selbst von schwersten Schäden wieder erholen, in dem es sich quasi „neu erschafft“, neu strukturiert und neue Verschaltungen etabliert. Das gelingt zwar nicht immer gleich gut, doch die Potentiale sind größer, als weithin vermutet wird.“
Während der Lektüre staunte ich immer wieder, was man alles messen kann, vor allem wie zielgenau man im Gehirn arbeiten und einzelne, teilweise kleinste Bereiche sichtbar machen kann, um den Behandlungserfolg zu kontrollieren. Dadurch kann der Patient innerhalb weniger Therapiestunden lernen, die für ihn entscheidenden Bereiche gezielt zu bearbeiten, um einen möglichen Heilungserfolg zu erzielen.
Der Autor erklärt an vielen Krankheitsbildern, die bisher in die Kategorie fielen: „Da kann man nichts machen, so ist es halt“. Sein es Schlaganfall, Depressionen, Schlaganfälle, ADS oder auch der Menschenschlag „Psychopath“, alles wird sehr gründlich unter die Lupe genommen und leicht nachvollziehbar erklärt.
So erläutert Nils Bierbaumer unter anderem, warum aus braven und herzensguten Menschen mit recht geringem Aufwand Nazis werden konnten. Ich konnte es bisher nie wirklich verstehen, aber vor dem Hintergrund der Abläufe innerhalb des Gehirns und seinen Folgen, ist es mir sehr klar geworden. Der Begriff Gehirnwäsche trifft wirklich den Nagel auf den Kopf!
Aber auch die vielen anderen nicht so spektakulären Andersartigkeiten sind sehr interessant. Das Buch liest sich trotz des hohen wissenschaftlichen Sachverstandes sehr leicht, vor allem sehr leicht verständlich.
Ich kann es jedem ans Herz legen, der medizinisch oder neurophysiologisch interessiert ist und gerne mal über den Tellerrand der bisher üblichen Möglichkeiten schauen mag!
Inhalt:
Unser Gehirn gleicht bei der Geburt einer Tabula rasa. Nur das wenigste ist festgelegt, das meiste wird geformt. Das heißt, wir haben selbst großen Einfluss auf unser Denken und Handeln – und unser Gehirn kann sich selbst aus dem Sumpf seiner Erkrankungen ziehen. Niels Birbaumer zeigt anhand konkreter Fälle aus seiner Forschung und Praxis, wie das gelingen kann. Depressionen, Epilepsie, Schlaganfälle und ADS lassen sich kontrollieren, nur durch Lernen und ohne risikoreiche Medikamente. Sogar Psychopathen können dadurch Mitgefühl entwickeln und völlig Gelähmte wieder Lebensfreude finden. Denn die Potentiale des Gehirns, so Birbaumers bahnbrechende Erkenntnis, sind fast grenzenlos: Es bietet dem Leben auch dann noch eine Perspektive, wenn wir sie nicht mehr sehen.
Infos zu Buch:
„Dein Gehirn weiß mehr, als du denkst“ von Niels Birbaumer ist im April 2015 unter der ISBN-Nr. 13 9783550080319 bei den Ullsteinbuchverlagen erschienen. Das Sachbuch umfasst 272 Seiten und ist auch als eBook erhältlich.
Niels Birbaumer, geboren 1945, studierte Psychologie und Neurophysiologie in Wien und London. er leitet das Institut für medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie an der Universität Tübingen. Birbaumer hat zahlreiche Gastprofessuren im Ausland inne.
Quelle: Ullsteinbuchverlage
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