*+* Anja Jonuleit: „Kaiserwald“ (Ebook + Hörbuch) *+*

Kaiserwald CanvaBisher konnte Anja Jonuleit mich immer erfolgreich in ihre Erzählwelten entführen. Und nach anfänglichen kurzen Orientierungsproblemen, was die Figuren in ihrem Roman betrifft, war es auch in „Kaiserwald“ wieder so. Es entfaltete sich langsam aber sicher eine riesige Spielwiese an Schauplätzen, Zeitebenen, Figuren voller Geheimnisse und Überraschungen. Denn so, wie man die Dinge von außen wahrnimmt, sind sie beileibe nicht. Auch trägt der Buchtitel selbst ein Geheimnis in sich, wie sich während des Romans herausstellt…

Langsam tasten wir uns voran bei den Geschehnissen Ende des 20. Jahrhunderts, als die Lehrerin Rebecca verschwindet. Ihre Familie bildet den einen Schwerpunkt des Figuren-Ensembles in diesem Roman – Rebecca, hinterlässt Mann und Tochter Penelope, die nun bei ihren liebevollen Großeltern aufwächst. So handeln die zwei Erzählfäden aus der Vergangenheit aus der Zeit einerseits vor, andererseits nach Rebeccas Verschwinden. Die zweite Familie, die diese Geschichte behandelt, sind die Prokoffs, eine Diplomatenfamilie, deren Tochter Xenia von Rebecca bis zu ihrem Verschwinden unterrichtet wird.

Die zweite Zeitschiene ist 25 Jahre später angesiedelt. Hier nimmt Xenias Bruder Falk eine zentrale Rolle ein, der weibliche Hauptpart wird von einer gewissen Mathilda gespielt, deren Name uns aus den Schilderungen der Vergangenheit nicht bekannt ist.
Sie hat Falk bezüglich einen Plan, den sie generalstabsmäßig beginnt. Welchen, das wissen wir auch am Ende von „Kaiserwald 1“ konkret noch nicht – was einer der Gründe ist, warum ich das Erscheinen der Fortsetzung „Sonnenwende“ im Herbst kaum erwarten kann. Mathilda schleicht sich in die Familie Prokoff ein, erfährt aber in vielerlei Hinsicht eine Wende in ihren Bemühungen. Mathildas Fokus verrutscht, sie ist schließlich hin und her gerissen zwischen ihrem selbsternannten Auftrag, ungeplanten Gefühlen und unerwartetem Wissen mit Explosionswirkung. Falk ahnt von alledem nichts. Er hat zwar auch seine Geheimnisse, scheint aber zumindest Mathilda gegenüber ehrlich zu sein. Und er ist gar nicht damit einverstanden, was seine Familie auf dem Kerbholz hat und hinter dem „guten Deckmäntelchen“ verbirgt.

Dieser Erzählstil, der mit manchmal quälender Langsamkeit und dennoch voller subtiler Spannung nach und nach, Bröckchen für Bröckchen, die Hintergründe dieser seltsamen Verquickung der beiden Familien offenbart, gefällt mir sehr. Die Konturen der Figuren und ihres zumindest teilweisen Zusammenwirkens schälten sich immer mehr heraus, gleichermaßen warfen sich mich aber auch immer mehr Fragen auf. Was ist mit Rebecca? Lebt sie noch? Ist sie freiwillig gegangen? Warum hat sie sich nicht mehr bei ihrer Familie gemeldet? Ist sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen? Was ist ihr zugestoßen? Wer war es?
Aber auch: Wie kann ein junger Mensch, dem so plötzlich die Mutter abhanden kommt, dies verkraften? Was macht das mit Penelope? Wie schafft sie es, mit diesem unerklärlichen Verlust klarzukommen?

Darüber hinaus wuchs meine Neugier immer mehr, was die Prokoffs betrifft. Nach außen hin sind sie eine Vorzeige-Diplomaten-Familie, pflegen sogar – Etikette verpflichtet – eine Familienstiftung. Ganz so weiß, wie sie tun, ist ihre Weste jedoch nicht. Und je mehr Mathilda in erschütternde Familiengeheimnisse eindringt, umso häufiger stockte mir der Atem! Liebe Anja Jonuleit, dieser Cliffhanger ist harter Tobak und ich wünschte, ich könnte „Kaiserwald 2“ schon in den Händen halten, spricht in den Ohren haben.

Diese Stimmungen, diese Zeichnung der Figuren von butterweich bis messerscharf, dieses langsame Lüften des Vorhangs, der die eingehüllte Wahrheit (noch) verbirgt, ist einfach grandios gelungen! Dass man aus einem großartigen Roman ein noch viel großartigeres Hörbuch machen kann, beweisen Vera Teltz, Inka Löwendorf, Jördis Triebel und Lili Zahavi, sie haben dem geschriebenen Wort Flügel verliehen.

Inhalt
»Deine Mutter ist verschwunden.« Eine Abfolge von Gefühlen zog über sein Gesicht: Ungläubigkeit, Entsetzen und schließlich diese Angst, die nun in der Welt war wie ein Geist, den man aus der Flasche gelassen hat.
Riga, Ostern 1998. Rebecca Maywald verschwindet spurlos. Sie hinterlässt eine achtjährige Tochter. Viele Jahre später setzt ein anonymer Brief Ereignisse in Gang, die das Leben zweier Familien für immer verändern sollen.
Berlin, 2023. Mathilda, Ex-Gebirgsjägerin, provoziert einen Autounfall, um mit Falk von Prokhoff, dem Sohn einer angesehenen Diplomatenfamilie, in Kontakt zu kommen. Der Grund bleibt zunächst unklar. Womit sie nicht gerechnet hat: Dass sie sich in ihn verliebt. Ein gefährliches Spiel um falsche Identitäten, unentdeckte Verbrechen und dubiose Machenschaften der Familienstiftung »Drei Linden« beginnt …

Autorin
Anja Jonuleit, 1965 in Bonn geboren und am Bodensee aufgewachsen, arbeitete einige Jahre für die Deutsche Botschaft in Rom. Nach einer Abordnung an die Botschaft Damaskus studierte sie am Sprachen- und Dolmetscherinstitut in München Italienisch und Englisch. Zurück am Bodensee machte sie sich als Übersetzerin und Gerichtsdolmetscherin selbstständig, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Ihre seit 2007 erscheinenden Romane erreichen eine große Leserschaft und stehen regelmäßig auf der SPIEGEL-Bestsellerliste. Behutsam und kenntnisreich nimmt sie sich der großen Stoffe unserer Zeit an. Sie erzählt von dysfunktionalen Familien und Beziehungen, von lebensfeindlichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und von Bedrohungen, in denen es schwer ist, sich selbst und andere zu beschützen. Ihren Romanen – darunter »Herbstvergessene«, »Der Apfelsammler«, »Rabenfrauen« und »Das letzte Bild« – folgt mit ihrer Dilogie »Kaiserwald« (Frühjahr 2024) und »Sonnenwende« (Herbst 2024) ein breit angelegtes Familiendrama.
Quelle: Penguin Randomhause

Sprecherinnen
»Kaiserwald« erzählt die Geschichte von vier Frauen, die in einem Wirrwarr von Lügen, dunklen Geheimnissen und echten Empfindungen nach der Wahrheit suchen. Vera Teltz, Inka Löwendorf, Jördis Triebel und Lili Zahavi haben Anja Jonuleits Roman als Hörbuch vertont – eine Lesung voller Spannung, Gefühl und Gefahr.
Quelle: Der Audio Verlag

Über irveliest

Wie ihr euch sicher schon denken könnt lese ich sehr gerne, am liebsten Krimis und Thriller, aber auch niveauvolle Romane, Kinder- und Jugendbücher. Meine Lieblingsbuchhandlungen sind unsere kleine Buchhandlung am Ort und zum ordentlichen Stöbern Thalia in der Nachbarstadt. Online stöbere ich am liebsten bei lovelybooks und auch bei Amazon nach Büchern...
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