Welch ungewöhnlicher Titel, oder? Wenn Aaron, die Hauptfigur, sein Glückslevel bewertet, erwartet man vermutlich einen greifbaren Vergleich, beispielsweise „Glücklicher als meine Kumpels“. Aber „Glücklicher als nicht“…. Das machte mich neugierig! Eine einfache Erklärung für diese Aussage gibt es nicht, dafür muss der Autor weit ausholen und tut das auch. Ausführlich, einfühlsam, intensiv und zart zugleich.
Um zu verstehen, warum Aaron diese Bezeichnung für seinen (erstrebten) Gefühlszustand wählt, ist es nötig, ihn kennenzulernen und dabei tief in seine Geschichte einzutauchen. Er hat es nicht leicht, sein Vater ist tot, seine Mutter versucht mehr schlecht als recht, Aaron und seinen Bruder durchzubringen. In seiner Freizeit jobbt der Junge oder hängt mit seinen Kumpels – harte Typen, es gilt das Gesetz der Straße – ab. Dann kommt er mit seiner Freundin zusammen, verliebt sich aber so wirklich nicht in sie, sondern in Thomas, einen richtig coolen Typen, der ganz anders ist als die anderen Freunde, und Aaron gehörig den Kopf verdreht. Leider werden seine Gefühle nicht erwidert. Aaron ist unglücklich, fühlt sich nicht richtig. Alles, was in seinem Leben schief gelaufen ist, kommt hoch, und das ist eine Menge. Zudem fühlt er sich durch seine von ihm selbst als falsch verstandene Sexualität schuldig. Er selbst und sein fehlgeleitetes Selbstwertgefühl setzen ihm derart zu, dass er gewisse Teile seines Lebens und seines Seins aufs Abstellgleis befördern will, sprich: Er unterzieht sich einer neumodischen Gehirnmanipulation.
Je weiter ich in dem Hörbuch kam, um so häufiger und stärker schüttelte ich innerlich den Kopf. Warum nur zweifelte Aaron, so ein lieber, sympathischer junger Mann, so sehr an sich? Was ist falsch daran, sich als Junge zum männlichen Geschlecht hingezogen zu fühlen? Was ist generell falsch daran, anders zu sein, als die anderen? Solange die Farbe unseres Herzens stimmt und man anderen positiv entgegentritt, sollte doch wohl alles erlaubt sein! Nebenbei wuchs auch ein bisschen die Wut auf Aarons Umkreis, denn es wäre an ihnen gewesen, ihm Zuspruch zu spenden. Als seine Mutter dem Eingriff zustimmte, war ich fassungslos. Und erfuhr erst anschließend, was wirklich vorgefallen war und ebenfalls, warum Aaron es vorher nicht erzählen konnte.
Das wirkt etwas verwirrend? Das war es zwischendurch für mich auch, aber dann bemerkte ich die raffiniert eingearbeitete zeitliche Komponente des Autors, der ganz schön tricky agiert und somit der Geschichte zusätzlichen Pfiff verleiht.
Schließlich war ich auf demselben Wissens-Level wie Aaron und konnte sein „More happy than not“ nicht nur verstehen sondern auch voll und ganz nachvollziehen.
Was am Ende nach dem letzten Kapitel für mich blieb, das sind so viele Gedankenimpulse. Neben den bereits vermeintlich angeprangerten, die letztlich gar nicht zu kritisieren waren, kann ich nur sagen. Nehmt nicht nur die anderen, wie sie sind, sondern auch selbst. Akzeptiert euch in eurer „Grundausstattung“ und versucht nicht, grundlegende Dinge zu verändern. Man kann eh nicht vor sich weglaufen. Verbiegt euch nicht, nur um gefallen zu wollen. Na klar, kann man sich immer „verbessern“, aber aus schwul kann nicht nicht schwul werden, aber aus einem unfreundlichen Meckerkopp ein freundlicherer Mitmensch.
Zudem ist das Leben viel zu kostbar, um es mit fragwürdigen Experimenten in Gefahr zu bringen. Das gilt für Drogenmissbrauch ebenso wie für gefährliche medizinische Verfahren, die unter welchem Deckmantel auch immer angepriesen werden. Passt gut auf euch und andere auf, kümmert euch um eure Herzensmenschen, und seid wie ihr eben seid, solange niemand darunter zu leiden hat.
„More happy than not“ ist ein interessanter Roman, der vor allem die jugendliche Hauptzielgruppe ansprechen dürfte. Aber auch mir älterem Semester hat sie gut gefallen, vor allem die Aussagekraft, die dahinter steckt. Mein einziger Kritikpunkt ist die durch den zeitlichen Kniff bedingte Verwirrung. Ansonsten bin ich voll mitgegangen und habe mit Aaron gelitten, geweint, gehofft – und schließlich die Zweifel besiegt! Die Figuren sind toll ausgearbeitet, die Atmosphären und Gefühlswelten gut eingefangen. Ganz großes Kino für die Ohren wurde aus dem Hörbuch durch die großartige Interpretation von Jonas Minthe, der sich gefühlt ganz intensiv in die Story hineingefühlt hat!
Hörtipp für alle, die gerne mal über den Tellerand blicken und sich für ihre Mitmenschen interessieren.
Inhalt
Aaron beschließt, endlich alles für immer zu vergessen: den Suizid seines Vaters, seinen eigenen Selbstmordversuch kurz darauf, die Hoffnungslosigkeit in dem Viertel, in dem er aufwächst. Vor allem aber die unerwiderte Liebe zum coolen, unbekümmerten Thomas, gerade als er glaubte, darin sein Glück zu finden. Mit Hilfe einer neuartigen Gehirnmanipulation will er seine Erinnerungen an alles, was war, und alles was er ist, auslöschen lassen. Doch auf schmerzlichste Weise muss er lernen, dass das Herz sich erinnert, auch wenn der Verstand längst vergessen hat …
Übersetzt von: Lisa Kögeböhn
Autor
Adam Silvera wurde in der Bronx, New York, geboren. Seine Romane wurden in den USA zu Bestsellern und in insgesamt sechsundzwanzig Länder verkauft. Am Ende sterben wir sowieso landete 2021 auf der SPIEGEL-Bestsellerliste.
Sprecher
Jonas Minthe studierte in Hannover und spielte Theater in Bremen, Bonn, und Hamburg, z.B. am Thalia Theater und im Ernst-Deutsch-Theater. Als Hörbuchsprecher ist er u.a. bei Der Club und Rendezvous mit einer Leiche zu hören.
Quelle: Hörcompany