Helga Schubert blickt zurück auf ihr Leben und gleichermaßen auf ein Stück deutscher Geschichte. Mitten im Zweiten Weltkrieg in Berlin geboren, groß geworden im Ostteil des Landes, lebt sie schließlich seit dem Fall der Mauer im wieder vereinigten Deutschland. Die Autorin hat viel zu erzählen, sie hat viel erlebt.
Helga Schubert schreibt ihre Geschichte nicht chronologisch, sie springt vielmehr von Episode zu Episode, was einen lebhaften Eindruck des Buches mit sich zieht. Durch die ebensolche Art und Weise der Darstellung durch die Sprecherin Ruth Reinecke fühlte ich mich durchweg nicht wie in einem „fiktiven“ Hörbuch, sondern vielmehr als säße ich mit der Autorin höchstpersönlich bei Kaffee und Kuchen und befände mich in einem intensiven Gespräch mit ihr.
Ja, es fühlte sich manchmal wirklich an wie ein Gespräch, denn gelegentlich drückte ich den Pausenknopf, hielt inne, ließ mir das Gehörte durch den Kopf gehen und entwickelte eigene Gedanken und Meinungen zu verschiedenen Themen – man könnte es vielleicht inneres Gespräch nennen. Geboren und aufgewachsen bin ich zwar im damaligen Westdeutschland, war aber als Kind und Jugendliche häufiger in der DDR „auf Besuch“, daher war mir einiges nicht ganz fremd, und ich konnte mich gut in die Erzählerin hineinfühlen und eigene Gedanken entwickeln.
Das Episodenhafte gibt dem Buch viel Power und Lebendigkeit, es war sehr mitreißend für mich, obwohl es sich „nur“ um eine literarische Biographie handelt, in der Szenen eines Lebens sowie Zustände und Entwicklungen eines Landes ganz unaufgeregt eingefangen und fast schon beiläufig festgehalten werden. Helga Schubert hat dabei einen bunten, aber festen Flickenteppich gewoben, in dem sich das komplizierte Verhältnis zu ihrer Mutter wie ein dicker roter Faden hindurch schlängelt. Sie webt dabei kreativ und mutig von Ost nach West, von der Kindheit bis ins Alter, von Freud nach Leid, von schweren zu leichten Phasen – immer wieder hin und her -, und fokussiert sich dabei nach und nach auf alle relevanten Episoden ihres Lebens.
Herausgekommen ist dabei ganz großes Kino für die Ohren!
Mich konnten die Autorin mit dem geschriebenen und die Sprecherin mit dem gesprochenen Wort beide gleichermaßen begeistern. Ich habe „Vom Aufstehen“ gerne gehört, es hat einen zunehmenden Sog entwickelt, der mir zum Schluss hin gar Tränchen der Rührung bescherten.
„Vom Aufstehen“ wurde meines Erachtens zu recht mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet.
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Inhalt
Ein Jahrhundertleben – verwandelt in Literatur
Drei Heldentaten habe sie in ihrem Leben vollbracht, erklärt Helga Schuberts Mutter ihrer Tochter: Sie habe sie nicht abgetrieben, sie im Zweiten Weltkrieg auf die Flucht mitgenommen und sie vor dem Einmarsch der Russen nicht erschossen. Helga Schubert erzählt in kurzen Episoden und klarer, berührender Sprache ein Jahrhundert deutscher Geschichte – ihre Geschichte, sie ist Fiktion und Wahrheit zugleich. Mehr als zehn Jahre steht sie unter Beobachtung der Stasi, bei ihrer ersten freien Wahl ist sie fast fünfzig Jahre alt. Doch erst nach dem Tod der Mutter kann sie sich versöhnen: mit der Mutter, einem Leben voller Widerständen und sich selbst.
Autorin
Helga Schubert, geboren 1940 in Berlin, studierte an der Humboldt-Universität Psychologie. Sie arbeitete als Psychotherapeutin und freie Schriftstellerin in der DDR und bereitete als Pressesprecherin des Zentralen Runden Tisches die ersten freien Wahlen mit vor. Nach zahlreichen Buchveröffentlichungen zog sie sich aus der literarischen Öffentlichkeit zurück, bis sie 2020 mit der Geschichte „Vom Aufstehen“ den Ingeborg-Bachmann-Preis gewann.
Sprecherin
Ruth Reinecke prägte als Ensemblemitglied über vier Jahrzehnte das Maxim Gorki Theater Berlin – sie spielte unter Regisseuren wie Thomas Langhoff und Katharina Thalbach und gestaltete eigene Soloabende mit Texten von Inge Müller und Maxi Wander. Sie war in Maren Ades gefeiertem Kinofilm „Toni Erdmann“ zu sehen und erhielt für ihr Mitwirken in „Weissensee“ den Grimme-Preis.
Quelle: Argon Verlag
Hallo Heike,
danke für diese Vorstellung. Ich hate mich vor einiger Zeit für das Buch bei Lovelybooks beworben, aber leider kein Glück gehabt und habe es noch auf meiner Wunschliste. Zumal ich nur Gutes bisher davon höre.
Freuen tue ich mich auch über Deine Erwähnung Deiner DDR-Besuche und das Dir einiges dementsprechend nicht fremd war. Da hast Du ein Stück Zeitgeschichte direkt miterlebt.
Liebe Grüße,
Simone.
Hallo Simone,
ja das stimmt! Als Kind war ich mehrmals „drüben“ und fand es immer sehr spannende…wenn das Auto untersucht wurde, die Koffer, sogar der Tank…. und in den Geschäften und Restaurants alles anders lief als hier. Das prägt sich ein.
Liebe Grüße
Heike