Dieser Roman spielt abgeschottet von der restlichen Welt, sie ist überbevölkert, ausgebeutet, ausgereizt, am Ende. Soll DAVE der neue Heilsbringer werden?
DAVE, so lautet ein Projekt, es handelt sich um eine KI von noch nie da gewesener Kapazität, umfassenden Fähigkeiten. Fast fühlt es sich an, als solle sie die Gottheit für eine neue Welt werden. Denn durch das angestrebte ihr inne wohnende Bewusstsein, soll DAVE neben Reaktionen auch zu eigenständigen, reflektierten, wohl abgewogenen und durchdachten eigenen Interaktionen in der Lage sein. Schöne neue Welt? Ja, das könnte man meinen – und dieser Roman ist nicht der einzige literarische Querverweis, den Raphaela Edelbauer in ihre SciFi-Dystopie einbaut.
Dennoch, so ganz habe ich dies und überhaupt den wirklichen Zweck der Super-KI nie ergründen können. Denn alles scheint mir im Kreis zu fließen, ein immerwährender Fortgang ohne tatsächliche Effekte, ein Ring aus Motivation, Forscherdrang, Zukunftsgeplänkel, Spekulationen und Fleiß – ohne je wirklich ans Ziel zu kommen. Es fühlt sich gelegentlich so an, als verschmölzen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu einem großen Ganzen.
„Als ich Khatun Majouri zum ersten Mal roch, geschah mir etwas, das mir nie zuvor widerfahren war. Ich erinnerte mich wohl an etwas – doch nicht an etwas Geschehenes, sondern an die Zukunft; ihr Duft war ein Versprechen auf etwas, das ich noch mühselig an die Oberfläche zu zerren versuchte. Ein inverses Déjà-vu, das sich auflöste, nachdem Khatun sich umgedreht hatte und ungeahnt schnell im Aufzug verschwunden war.“
Auch die DAVE’sche Welt ist ein brutaler, kompromissloser Ort, und nicht nur das, was man über das „da draußen“ erfährt, macht mich immer wieder schaudern. Programmierer leben zusammengepfercht ohne Privatsphäre – man ist niemals allein, aber dafür sehr einsam -, ohne Luxus, ohne anspruchsvolles Futter für Leib, Seele und Geist, sie sind stupide fokussiert auf das große Ziel. Nur eine kleine Elite schwelgt über den Köpfen der anderen und genießt einige Annehmlichkeiten.
Als Syz nach zwei gravierenden Veränderungen – zum einen gerät DAVE durch einen Systemabsturz in Gefahr und droht alles, was damit zusammenhängt, zum Erliegen zu bringen, sprich: Das Sein der „11.654 Programmierer, die sich selbst in die Cloud auslagern“, und anderer technischer Anhängsel hängt am seidenen Faden, zum anderen wird Syz von einem Gefühl namens Liebe gegenüber der Ärztin Khatun übermannt – unverhofft in diese Upperclass gezogen wird, ist für ihn erst recht nichts mehr, wie es war. Nach und nach kommt er den Gründen dafür auf die Spur – schließlich möchte er wissen, warum ausgerechnet er diesen höchst brisanten und enormen Job übernehmen soll. Diese Erkenntnisse führen schlussendlich zu sagen wir, einen anderen Art von Systemabsturz – mit gravierenden Folgen, die mich noch mehr über den Sinn Daves, aber auch über die Intention des Buches grübeln lassen.
Die Auflösung habe ich zwar in etwa so erwartet, sie erscheint mir jedoch logisch und unlogisch zugleich dargestellt. Was wiederum zum Buch passt, denn hier scheint es gelegentlich wie bereits erwähnt eine Gleichzeitigkeit der Zustände zu geben.
Sprachlich ist der Roman toll umgesetzt, sehr detailliert, gut ausgearbeitet, manchmal ziemlich fachspezifisch, oft aber auch genial schwarzhumorig, sprachlich treffsicher und gelungen in einigen Wortschöpfungen und akrobatischen Formulierungen. Auch die kleinen Hinweise und Seitenhiebe auf die Gesellschaft haben mir gut gefallen.
DAVE war ein tolles Leseerlebnis, dass mich aber gelegentlich in seiner Intensität und Dichte überfordert hat.
Inhalt
Was braucht es, um eine Maschine mit menschlichem Bewusstsein auszustatten? Den Programmierer Syz interessiert nichts so sehr wie die Beantwortung dieser Frage. Doch als er hinter die Kulissen des Labors blickt, gerät sein bedingungsloser Glaube an die Technik ins Wanken. Welchem Zweck dient DAVE wirklich und wer wird von ihm profitieren?
In der Welt von Syz dreht sich alles ums Programmieren. Geschlafen und gegessen wird hauptsächlich, um schnellstmöglich wieder in die Datenströme des Computers abzutauchen. Das Ziel des gesamten Labors ist nichts Geringeres als die Programmierung der ersten generellen Künstlichen Intelligenz, ausgestattet mit einer Höchstleistung an Rechenkraft und menschlichem Bewusstsein: DAVE. Dann allerdings bringen zwei Ereignisse Syz‘ geregeltes Leben ins Wanken. Erstens, Syz verliebt sich in eine junge Ärztin, und zweitens, DAVE droht ein Totalausfall. Der Strudel, in den Syz in der Folge gerät, katapultiert den Programmierer in unmittelbare Nähe der Machtzentrale. Während das Labor in blinder Technikgläubigkeit weiterhin auf die Verwirklichung der Künstlichen Superintelligenz hinarbeitet, taucht Syz tief in die Geschichte des Labors ein und versucht herauszufinden, wessen Interessen DAVE am Ende eigentlich dient. Nach dem großen Erfolg von »Das flüssige Land« legt Raphaela Edelbauer einen einzigartigen Roman über Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Künstlichen Intelligenz vor.
Autorin
Raphaela Edelbauer, geboren in Wien, studierte Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst. Für ihr Werk »Entdecker. Eine Poetik« wurde sie mit dem Hauptpreis der Rauriser Literaturtage ausgezeichnet. Außerdem wurde ihr der Publikumspreis beim Bachmann-Wettbewerb, der Theodor-Körner-Preis und der Förderpreis der Doppelfeld-Stiftung zuerkannt. Mit ihrem Roman »Das flüssige Land« stand sie auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises und des Österreichischen Buchpreises. Raphaela Edelbauer lebt in Wien.
Quelle: Klett Cotta Verlag