Lieber Christoph,
eigentlich war unser Interview unter ganz anderen Vorzeichen geplant. Im Anschluss an die Lesung aus deinem aktuellen Jugendroman „STURM“ sollte unser Treffen bei Magellan – Der Verlag mit dem Wal stattfinden. Corona hat dies, wie so vieles andere auch, leider vereitelt. Aber wir sind ja flexibel und so befrage ich dich nun auf dem schriftlichen Weg.
Möchtest du dich zunächst selbst vorstellen, bevor es losgeht?
Ich kann dir ein paar biografische Eckdaten von mir geben: Theologie studiert, einige Jahre als LKW-Fahrer gearbeitet, Journalist geworden, später Bücher geschrieben, zwei Jungs großgezogen, lebe mit Frau und Hund in Norddeutschland.
Dein beruflicher Werdegang hat bei verschiedenen Magazinen begonnen. Du warst Redakteur und als Reporter unterwegs, 2004 hast du gemeinsam mit einem Kollegen ein eigenes Redaktionsbüro (strich2) gegründet. Kurz zuvor ist das erste Buch von dir erschienen. Ist es nicht sehr anstrengend, zwischen den verschiedenen Projekten und Genres zu wechseln?
Schreiben funktioniert anders als zum Beispiel Schreinern: Wenn du zehn Tische gebaut hast, weißt du wie es geht und der elfte Tisch wird auf jeden Fall perfekter sein als der erste. Beim Schreiben gibt es dagegen keine Routine. Schreiben ist alles immer wieder komplett neu. Insofern spielt es auch keine Rolle mehr, ob du dabei das Genre oder die Textart wechselst. Das ist das furchtbar Anstrengende an dem Beruf. Aber auch das Geniale.
War diese Bandbreite geplant, oder hat es sich einfach so ergeben, dass du für die verschiedenen Lesertypen aktiv bist?
In meinem Leben läuft leider nichts wie geplant. Das auch nicht.
Welcher Lesertyp bist du selbst? Was liest du persönlich lieber? Sachtexte in Magazinen oder bevorzugst du die ausführliche Variante in Form von (Sach-)Büchern?
Ehrlich gesagt schaue ich gar nicht nach Textformen und Genres. Hauptsache da schreibt jemand, der die Sprache liebt. Alles andere ist nicht wichtig.
Mal vom im Hoffmann und Campe Verlag erschienenen historischen Roman „Zeichen der Zeit“ abgesehen, der im frühen 19. Jahrhundert spielt, wurden deine letzten Bücher alle im Magellan Verlag veröffentlicht – sie handeln von aktuellen Themen. Wer hat da wen gefunden? Wie hat sich diese Zusammenarbeit ergeben?
Für diese Antwort muss ich ein bisschen weiter ausholen, ich hoffe das ist okay: Also, als mein jüngerer Sohn ungefähr zwölf war, hat er sich eigentlich für nichts anderes interessiert als für Basketball. Selbst wenn er abends ins Bett gegangen ist, hat er kein Buch mitgenommen, sondern sich seine neusten Basketballschuhe aufs Kopfkissen gestellt. Als verantwortungsvolle Eltern wollten wir von ihm immer, dass er was liest. Er hat dann gemeint: „Wenns unbedingt sein muss, lese ich auch was, aber nur über Basketball, und wenns spannend und lustig ist.“ So ein Buch gab es dann nirgends zu kaufen. Also habe ich mich hingesetzt und es selbst geschrieben. Und das Buch habe ich dann später an viele verschiedene Agenten geschickt und tausend Absagen bekommen, nur eine einzige Agentin hat gesagt: „Oha, das wird schwierig, Verlage kaufen keine Jungsbücher und schon gar keine über Basketball. Aber ich mag, wie Sie schreiben.“ Sie hat mich dann unter Vertrag genommen und das Buch an viele Verlage geschickt, und da gab es wiederum auch tausend Absagen und genau einen Verlag, der gesagt hat: „Wir kaufen keine Jungsbücher über Basketball. Aber wir mögen, wie Sie schreiben. Hätten Sie denn nicht Lust auf ein anderes Buch?“ So ist ECHT entstanden. Und danach hat Magellan dann allen Mut zusammengenommen und auch ABSOLUTE GEWINNER publiziert.
Auf deine Bücher bin ich durch die Verlags-Vorschauen eben des Magellan Verlags aufmerksam geworden. Alle deine Bücher legen den Finger in Wunden unserer Gesellschaft. Was ist dir wichtiger: die Zielgruppe gut zu unterhalten oder zu informieren, aufzurütteln und Bewusstsein zu schaffen?
Das eine geht ja nicht ohne das andere. Einen Leser, der gelangweilt ist, kann man mit den schlausten, engagiertesten Gedanken nicht mehr erreichen. Der klappt einfach die Buchdeckel zu. Zu unterhalten ist erste Autoren-Pflicht. Natürlich will ich darüber hinaus noch mehr.
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In „ECHT“ geht es um Albert, der am Bahnhof Abschiede fotografiert, weil Abschiede für ihn die Momente mit der größten Wahrhaftigkeit sind. Dabei lernt er nicht nur das wahre, ungeschminkte, erschütternde Leben der Bahnhofskinder kennen. Er trifft dort auch auf die große Liebe seines Lebens. Wie bist du auf die Idee gekommen, Wahrhaftigkeit und echte Gefühle ausgerechnet am Bahnhof anzusiedeln?
Weil ich es genauso erlebt habe. Das Buch fußt auf einer Recherche, die ich als Journalist unter Bahnhofskindern gemacht habe. Bis auf Albert hat es alle Figuren des Buchs wirklich gegeben. Damals habe ich zwei, drei Wochen mit ihnen zusammengelebt und sie haben mich so beeindruckt, dass ich schon damals gedacht habe, dass ich ihnen mal in einem Buch ein Denkmal setzen will.
Auch bei ABSOLUTE GEWINNER erzählst du von einem Jungen, der – sogar im Wortsinn – in der Gesellschaft keine Stimme hat und deshalb auch nicht gehört wird und der dann zusammen mit anderen Underdogs zeigt, wie man sich trotzdem in der Welt der Erwachsenen durchsetzen kann, solange man nur als Team zusammensteht. Entspricht das auch deiner eigenen Erfahrung?
Ich glaube tatsächlich, dass Teamsport junge Menschen perfekt auf das Leben vorbereitet. Alles was man für das Erwachsenwerden braucht, kann man dort lernen. Eigentlich ist ABSOLUTE GEWINNER ein total pädagogisches Buch. Aber auch für die Pädagogik gilt: Wenn sie nicht unterhält oder – wie mein Sohn gesagt hat – wenn sie nicht spannend und lustig ist, funktioniert sie auch nicht.
Bei STURM, deinem aktuellen Jugendroman, tobt mehr als ein Orkan durch das Buch. Deine Hauptfigur Nora verabscheut jegliche Ungerechtigkeiten und setzt sich gern mit ganzer Kraft dagegen ein, was ihr schließlich eine Verhaftung und Sozialstunden auf einem Fischerboot beschert. Du sprichst in der Geschichte mehr oder weniger intensiv verschiedene Themen an, der Hauptaspekt liegt jedoch ganz klar auf dem Umweltschutz. Ist das ein Thema, das dich auch privat bewegt?
STURM ist sicherlich das persönlichste unter allen meinen Büchern. Aber auch das philosophischste. Im Prinzip handelt es nicht von „vielen verschiedenen mehr oder weniger intensiv“ beackerten Themen, sondern von einem einzigen. Einer Grundthese, einer grundlegenden Fragestellung. Sie lautet: Welchen Sinn hat das Leben?
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Und deine Antwort darauf?
Wir wissen nicht, ob es einen Sinn hat. Aber wenn es einen hat, egal welchen, dann stimmt auf jeden Fall folgender Satz: Je mehr und intensiver ich lebe, desto sinnvoller ist es. Je mehr Leben ich in mich hineinlasse, je mehr Leben ich schütze, je mehr ich das Leben feiere, desto schöner, sinnvoller, erfüllender ist es auch. Und umgekehrt: Je mehr Leben ich aussperre, je mehr Leben ich zerstöre, desto sinnloser ist die eigene Existenz. Darum geht es in dem Buch. Die Zerstörung der Natur ist eine Facette davon. Und es ist richtig. Es ist die Facette, die mir am meisten am Herzen liegt.
Aber in dem Buch geht es auch um den Tod. Nicht nur um das Leben.
Ganz genau. Zum Leben gehört, dass es endlich ist. Es ist der Tod, der von uns Verantwortung einfordert. Ohne den Tod könnte ich alles irgendwann machen und nichts hätte endgültige Folgen. Unser Umgang mit dem Tod ist ebenfalls eine Facette der Grundfrage nach dem Leben.
Das Ende des Buches hat mich überrascht. Kannst du uns verraten – ohne dabei zu spoilern – warum du dieses Ende gewählt hast?
Ich wollte ein versöhnliches Ende. Eigentlich will ich in meinen Büchern immer ein Happyend. Auf der anderen Seite durfte es aber auch kein märchenmäßiges „Und-sie-lebten-glücklich-bis-an-das-Ende-ihrer-Tage-Ende“ sein. Den Rückzug ins Private als Lösung für alle Probleme, das hätte nicht zu Nora gepasst. Ich wollte das Leben hochleben lassen und die Liebe feiern, auch jenseits aller bürgerlichen einengenden Normen. Ein fröhliches, glückliches ungebremstes Ja zu den eigenen Gefühlen. Deshalb gab es für mich zu dem jetzigen Ende keine Alternative.
Gibt es ein aktuelles Buchprojekt, an dem du arbeitest, und auf das wir Leser uns freuen können?
Ich schreibe gerade an einem neuen Jugendbuch für Magellan. Es kommt im nächsten Frühjahr heraus. Im Moment kann und darf ich aber noch nichts dazu sagen.
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Lieber Christoph,
ich danke dir sehr für die Zeit, die du dir für die Beantwortung meiner Fragen genommen hast.
Auch sage ich danke für die drei signierten Bücher und die zauberhafte selbstgefertigte Buchstütze in Form eines Wals – was sowohl zu „Magellan – Der Verlag mit dem Wal“ als auch zum Naturschutz-Thema deines aktuell dort erschienenen Jugendromans passt -, die du mir netterweise für eine Versteigerung zugunsten des Kinderpalliativzentrums in Datteln zur Verfügung stellst!
Den Blogbeitrag dazu gibt es morgen – also, liebe Leser, schaut dann gerne wieder vorbei!!!
Viele Grüße und alles Gute!