Hennis Geschichte ist eine, die stellvertretend für das Schicksal vieler (Nach-)Kriegskinder steht. Denn von Armut war ein Großteil betroffen. Um ihr Überleben und das ihrer Geschwister nach dem Tod der Mutter zu sichern, muss das Mädchen gelegentlich die Grenzen der Legalität überschreiten. Weil sie zudem nicht so kuscht, wie der unfähige, hoffnungslos überforderte Vater es will, stempelt er sie als aufsässig und verlogen ab. Es kommt, wie es kommen muss: Trotz aller Bemühungen, darf Henni sich nicht mehr um ihre jüngeren Geschwister kümmern. Sie werden in ein Kinderheim gesteckt, während Henni selbst mir unverständlicherweise in einer Besserungsanstalt zur Besinnung kommen sollte.
Rückblickend erzählt Mechthild Borrmann von dem Schicksal der Geschwister, wobei das Hauptaugenmerk auf Henni liegt, denn nach der Zeit der Heimaufenthalte der Kinder schreibt das Leben weiterhin seine Dramatik in die Geschichten der überlebenden Geschwister hinein und es gilt schließlich, einem dringenden Tatverdacht nachzugehen und ein Verbrechen aufzuklären.
Die Autorin erzählt trotz all der bestürzenden Begebenheiten und Entwicklungen unaufgeregt, fast so, als sei sie eine teilnahmslose Außenstehende – was sie ja auch ist -, und intensiviert für mich dadurch die Tiefe der Dinge, die durch eine Kettenreaktion miteinander verbunden sind. Schließlich dreht sich alles um die Frage der Schuld. Wer trägt die Verantwortung, was damals in so vielen Handlungen fehl geschehen ist, wer trägt letzten Endes die Schuld an der dramatischen Wende, wegen der Henni schließlich im Kreuzfeuer steht?
Den fast beiläufigen Erzählton setzt die Sprecherin Vera Teltz perfekt mit ihrer nahezu sachlichen Sprechweise um. Dennoch empfand ich sehr schnell Nähe zu den Charakteren, verspürte Sympathie mit Henni und großes Mitgefühl mit ihr und ihren Geschwistern. Den Vater und allen anderen, die das Mäntelchen über all das geschehene Unrecht und Leid legten, hätte von mir aus der Teufel holen können. Derart polarisiert und zunehmend emotionsgeladen verfolgte ich mit immer größerer Spannung und innerer Unruhe das Geschehen und hoffte endlich auf Gerechtigkeit für alle Beteiligten!
„Grenzgänger“ hat mir supergut gefallen – sowohl Inhalt, Erzählstil, Inszenierung als auch die sprecherische Umsetzung -, sodass ich mich auf weitere Hörbücher zu Romanen der Autorin freue.
Inhalt
Wenn Recht nicht Gerechtigkeit ist
Wegen Kaffeeschmuggels und ihrer »krankhaften Verlogenheit« steckt man die 17-jährige Henni 1951 in eine Besserungsanstalt. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Die jüngeren Geschwister, um die sie sich anstelle der toten Mutter gekümmert hatte, kommen in ein kirchliches Kinderheim, wo der kleine Matthias an Lungenentzündung verstirbt. Auch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Mit der ihr eigenen soghaft-präzisen Sprache erzählt Mechtild Borrmann vom Hunger nach Leben und der verzweifelten Suche nach Gerechtigkeit.
Autorin
Mechtild Borrmann, 1960 geboren, lebt in Bielefeld. Bevor sie sich dem Schreiben von Kriminalromanen widmete, war sie u.a. Tanz- und Theaterpädagogin, Groß- und Außenhändlerin und als Gastronomin tätig. 2012 wurde ihr Roman Wer das Schweigen bricht mit dem Deutschen Krimi Preis ausgezeichnet.
Sprecherin
Vera Teltz ist neben diversen Theater- und Fernsehrollen bekannt als die Stimme von Filmgrößen wie Helena Bonham Carter, Naomie Harris, Alicia Keys und Elizabeth Banks. Ihre elegante und ausdrucksstarke Stimme macht sie zu einer beliebten Hörbuchsprecherin.
Quelle: Argon Verlag