Vor einigen Jahren hat mich „Der Pfau“ von Isabel Bogdan so begeistert, dass ich lange Zeit sehnsüchtig auf ihr nächstes Buch gewartet habe. Insgeheim hatte ich eine ähnlich subtile, hintergründig witzige Geschichte erwartet, und war wirklich überrascht, dass das neue Buch eigentlich das komplette Gegenteil des ersten ist. Denn hier geht es nicht um ein entspanntes Wochenende, in dem das Chaos seinen Charme versprüht. Hier geht es nur um Chaos, das innere Chaos einer Frau, die plötzlich und unerwartet ihren Mann verloren hat. Und darum, wie sie es schafft, damit umzugehen, nicht aus ihrem Leben zu fallen, sondern gestärkt aus diesem Schicksalsschlag herauszutreten.
„Da heißt es, jeder hätte sein Päckchen zu tragen, aber wie trägt man Verluste? Ich trage keine Päckchen, sondern Löcher.“
Jeder geht mit gravierenden Änderungen – seien sie schön oder grausam – ganz individuell um, und das ist gut so. Denn ein Patentrezept gibt es nicht, jeder muss seinen eigenen Königsweg finden, dreht sich womöglich dabei für eine lange Zeit im Kreis, geht vielleicht auch ein paar Schritte zurück. Isabel Bogdan macht Mut, denn ihre Protagonistin hat begriffen, dass es nichts bringt, den Kopf in den Sand zu stecken und auf ein Wunder zu hoffen. Man muss selbst aktiv werden, so schwer es auch fällt. Glücklich kann sich derjenige schätzen, der dabei unterstützt wird, durch Familie, Freunde, eine geeignete Therapeutin, oder was auch immer.
Die Ich-Erzählerin dieses Buches rafft sich auf und nimmt nach langer Zeit ihr Lauftraining wieder auf. Sie tut es nicht, um körperlich fit zu werden, sondern um zu vergessen. Denn wenn sie sich auf ihre Schritte, ihre Atmung konzentrieren muss, kann sie, so hofft sie, aus ihrem Gedankenkarussell ausbrechen. Und das fährt sehr schnell und deckt dabei mehr Tiefen als Höhen ab. So leicht ist das Abschalten nicht, denn an so vielen Ecken lauern Assoziationen zum Tod, stecken so viele Impulse, die katalysatorhaft Erinnerungen freilegen. In dieser Phase hatte ich Bedenken, ob die Protagonistin es schaffen würde, diese Dämonen zu besiegen – aber sie tat es. Sie lief dennoch regelmäßig ihre Runden und machte Fortschritte, nicht nur körperlich, auch seelisch.
„Das, was noch im Boden festgewachsen ist, kommt bestimmt wieder neu, aber die beschnittenen Stümpfe sehen schrecklich verstümmelt aus, man möchte beinahe einen Verband drumwickeln und sie ein bisschen streicheln, es sieht aus, als könnte es nie wieder leben, aber das wird es wohl, und das ist doch alles eine beschissenen Metapher.“
Wunderbar gelungen ist es der Autorin nicht nur, in die Gefühlswelt ihrer Erzählerin einzutauchen und ihre Gedanken treffend und nachvollziehbar zu verschriftlichen, auch der Schreibstil ist wie geschaffen, um den Inhalt zu unterstützen und lebendig zu machen. Denn Isabel Bogdan lässt ihre Figur nur denken und erzählen, wenn sie läuft. Während dieser Phasen der persönlichen Therapie arbeitet sie alles ab. Sie nimmt die getötete Beziehung unter die Lupe, zunächst betrachtet sie sie durch die rosarote Brille, wird aber zunehmend immer ehrlicher zu sich selbst und schafft es, sich selbst, den Verstorbenen, ihre vergangene Beziehung und auch die Beziehung zu vielen und vielem anderen immer realistischer zu sehen. Sie seziert die Vergangenheit, betrachtet die Gegenwart und all ihre Möglichkeiten, wägt diese immer wieder mit ihrem inneren Seelenzustand ab und traut sich schließlich, ab und zu einen verstohlenen Blick über den Tellerrand zu werfen, hinein in die Zukunft.
Sie denkt und erzählt so, wie sie schreibt: Atemlos, pausenlos, von Stöckchen auf Steinchen, solange, bis ihr Gedankenkarussell sich in einem vernünftigen Tempo dreht und Höhen und Tiefen sich zu einem immer vernünftigeren Gleichgewicht annähern.
Mir hat LAUFEN supergut gefallen, denn ist trotz der grausamen Thematik – wer hat keine Angst, seinen Partner, Weggefährten und im Idealfall besten Freund zu verlieren? – ein hoffnungsvolles Buch. Es zeigt auf, dass Trauer gut und richtig ist, aber nicht auch die Hinterbliebenen töten respektive lebensunfähig machen darf. Zusätzlich zum Buch habe ich mir den Roman auch als Hörbuch gekauft, weil ich eigentlich dachte, ich würde ihn lieber hören als lesen, aber es stecken so viele Passagen im Erzählten, die ich sacken lassen musste, oder mehrmals lesen, bei denen ich innehalten musste, um meine eigenen Gedanken kreisen zu lassen, sodass – zumindest beim Erstkonsum des Buches – das Selberlesen die bessere Wahl war.
LAUFEN ist definitiv schon jetzt eins meiner buchigen Highlights des Jahres!
Und als Highlight des Monats habe ich es in Monerls Linkparty Februar verlinkt!
Inhalt
Isabel Bogdan überrascht mit einem Roman über eine Frau, die nach einem Schicksalsschlag um ihr Leben läuft.
Eine Ich-Erzählerin wird nach einem erschütternden Verlust aus der Bahn geworfen und beginnt mit dem Laufen. Erst schafft sie nur kleine Strecken, doch nach und nach werden Laufen und Leben wieder selbstverständlicher. Konsequent im inneren Monolog geschrieben, zeigt dieser eindringliche Roman, was es heißt, an Leib und Seele zu gesunden. Isabel Bogdan, deren Roman »Der Pfau« ein großer Bestseller wurde, betritt mit diesem Buch neues Parkett.
Eine Frau läuft. Schnell wird klar, dass es nicht nur um ein gesünderes oder gar leichteres Leben geht. Durch ihre Augen und ihre mäandernden Gedanken erfährt der Leser nach und nach, warum das Laufen ein existenzielles Bedürfnis für sie ist. Wie wird man mit einem Verlust fertig? Welche Rolle spielen Freunde und Familie? Welche Rolle spielt die Zeit? Und der Beruf? Schritt für Schritt erobert sich die Erzählerin die Souveränität über ihr Leben zurück.
Isabel Bogdan beschreibt mit großem Einfühlungsvermögen und einem ganz anderen Ton den Weg einer Frau, die nach langer Zeit der Trauer wieder Mut fasst und ihren Lebenshunger und Humor zurückgewinnt.
Autorin
Isabel Bogdan, geboren 1968 in Köln, studierte Anglistik und Japanologie in Heidelberg und Tokyo. Sie verfasste zahlreiche Übersetzungen, u.a. von Jane Gardam, Nick Hornby und Jonathan Safran Foer. 2011 erschien ihr erstes eigenes Buch, »Sachen machen«, bei Rowohlt, außerdem schrieb sie Kurzgeschichten in Anthologien. 2006 erhielt sie den Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzung und 2011 den für Literatur. 2016 erschien ihr Roman »Der Pfau«, der ein Bestseller wurde.
Quelle: Kiwi Verlag