Während des Lesens dachte ich immer wieder, was dies doch für eine verrückte, unglaubliche Geschichte ist, die der Autor uns über die letzte Zeit des Zweiten Weltkrieges erzählt. Aber, weit gefehlt, denn der Einblick in das Leben des Egidius Arimond basiert auf wahren Begebenheiten.
Umso faszinierter bin ich im Nachhinein von der Hauptfigur. Egidius erlebt den Krieg aus einer anderen Perspektive als die meisten anderen Männer seines Alters, denn er ist wegen seiner Epilepsie nicht kriegstauglich. Während die Soldaten in die Schlachten ziehen, kämpft er an ganz anderen Fronten. Die Medikamente, mit der er seine Epilepsie in Schach halten kann, sind immer schwerer erhältlich. Mit seinen Bienen und den Produkten der Stöcke kann er sich zwar über Wasser halten, aber für die Finanzierbarkeit seiner Medizin braucht er eine zusätzliche Einnahmequelle. Er schmuggelt Juden über die Grenze, und wie er das tut, hat mir einiges an Bewunderung abgerungen! Zunächst einmal, dass er es überhaupt tut – Entlohnung hin oder her -, schließlich hat mich aber darüber hinaus das ausgeklügelte Konzept begeistert. Not macht erfinderisch und es gibt sicher noch immer einige Menschen, die ihm für sein Engagement zutiefst dankbar sind!
An diesen Stellen war ich emotional besonders involviert – Gänsehaut und Tränen inklusive.
Als Latein- und Geschichtslehrer kann Egidius in den Zeiten des Krieges nicht (mehr) arbeiten, und es ist schwer für ihn, dieses „neue Leben“ zu bewältigen. Den Kampf um das Überleben des Mannes schildert der Autor in Form eines Tagebuches, was mir sehr gut gefallen hat. Man ist so noch ein Stück weiter an Egidius, nimmt noch intensiver Anteil an seinem Leben, seinen Sorgen, Nöten, Hoffnungen, aber auch an seinen Interessen – zumindest ist es mir so ergangen. Seine Leidenschaft für die Bienen wird durch einige informative Passagen über die Tiere gewürzt, eng damit verwoben sind immer wieder in das Buch eingewobene Texte des längst verstorbenen Mönches Ambrosius Arimond, der mehr als seelenverwandt mit Egidius ist.
Es hat mich sehr berührt, den intensiven Schilderungen – sie wirken durch die Beiläufigkeit, mit der vieles beschrieben oder auch nur erwähnt wird, umso tiefer – zu folgen. Dadurch und durch das überraschende, verstörende Ende empfinde ich „Winterbienen“ als sehr lesenswerten, wenn auch häufig bedrückenden Antikriegsroman, den ich gerne als Lektüre „Gegen das Vergessen“ empfehlen möchte. Er steht zurecht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises.
Inhalt
Januar 1944: Während über der Eifel britische und amerikanische Bomber kreisen, gerät der wegen seiner Epilepsie nicht wehrtaugliche Egidius Arimond in höchste Gefahr. Er bringt nicht nur als Fluchthelfer jüdische Flüchtlinge in präparierten Bienenstöcken über die Grenze, er verstrickt sich auch in Frauengeschichten.
Mit großer Intensität erzählt Norbert Scheuer in „Winterbienen“ einfühlsam, präzise und spannend von einer Welt, die geprägt ist von Zerstörung und dem Wunsch nach einer friedlichen Zukunft.
Autor
Norbert Scheuer, geboren 1951, lebt als freier Schriftsteller in der Eifel. Er erhielt zahlreiche Literaturpreise und veröffentlichte zuletzt die Romane „Die Sprache der Vögel“ (2015), der für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war, und „Am Grund des Universums“ (2017). Sein Roman „Überm Rauschen“ (2009) stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises und war 2010 „Buch für die Stadt Köln“.
Quelle: C.H. Beck