„Ich brauche euch!“, so lautet der Hilferuf, den Kate ihren alten Schulfreundinnen sendet. Und ihre Freundinnen kommen, kehren nach siebzehn Jahren zurück an den Ort ihrer Jugend, an dem sie gemeinsam die Schule besucht und ihre Freizeit verbracht haben.
Die vier Frauen verbringen zunächst einen geselligen Abend, bevor Kate ihnen endlich offenbart, warum sie die Freundinnen hergerufen hat.
Die Geschichte wird aus Isas Sicht geschildert. Sie ist inzwischen verheiratet, hat ein Baby, das sie zum Treffen mitbringt. Natürlich freut sie sich, die anderen Mädels wiederzusehen. Es gibt eine Menge zu erzählen und die vier Frauen könnte eine schöne Zeit miteinander verbringen, wenn nicht da dieses dunkle Geheimnis wäre, das sie umweht.
Die Vergangenheit droht, das Quartett einzuholen. Was damals genau passiert ist, erfährt der Hörer lange nicht. Die Autorin begnügt sich damit, in ihre ausschweifenden Schilderungen, die zahlreichen intensiven Rückblicke in die jugendliche Vergangenheit der Protagonistinnen einige kleine Bröckchen einzuwerfen. Eigentlich erzeugt diese Methode große Spannung in mir, dieses Mal hat sie nicht funktioniert.
Liegt es daran, dass mir keine einzige der alten Freundinnen – zumindest fühlen sie sich so, gemeinsame Gemeinheiten scheinen zusammenzuschweißen – auch nur ansatzweise sympathisch ist? Oder vielleicht, dass mir die Ausgangslage zu vage, besagte Bröckchen zu klein und selten sind, um mich in die Geschichte zu ziehen? Möglicherweise wirkt aber auch die Gewichtung von Erinnerungen, die sich häufig als Belanglosigkeiten entpuppen, und den verwendeten vermeintlichen Spannungselementen bei mir nicht so wie beabsichtigt.
Eine Ahnung, was passiert sein könnte, und welche Folgen dies möglicherweise für Kate und ihre Gäste haben wird, zwängt sich schon immer intensiver in meine Gedanken. Durch den Nichtbezug zu den Frauen lassen mich ihre Erlebnisse jedoch leider überwiegend kalt. Die zahlreichen Längen überfluten den ohnehin sehr seltenen Thrill, wodurch sich für mich die Geschichte wie ein ausschweifender Roman mit einigen Spannungselementen anfühlt.
Jedoch passt diese Langsamkeit, diese relative Unbeweglichkeit, zur Gefühlswelt der verschreckten Frauen. Was auch immer damals geschehen ist, es muss schrecklich gewesen sein, und hat sie scheinbar innerlich erstarren lassen. Was sollen sie tun? Was wird geschehen? Die Ungewissheit lähmt die Protagonistinnen, lässt sie bisweilen umständlich und unlogisch erscheinen, was ich jedoch in Anbetracht ihrer Situation nachvollziehbar finde.
Der flüssige, detailreiche Erzählstil lässt sich jedoch angenehm hören, wenngleich die Autorin mit der extrem langsamen Entwicklung ihrer Story ganz schön meine Ungeduld quält. Große Konzentration ist nicht erforderlich. Durch die langsame Entwicklung und einige Wiederholungen kann man eigentlich nichts verpassen, was das Buch zu einer angenehmen Feierabendlektüre zur Entspannung macht.
Im zweiten Teil fokussiert die Geschichte dann aber das Verbrechen, von dem man bis zum Schluss nicht genau weiß, wer warum und wie genau gehandelt hat. Mein Gedankenkarussell fährt schneller, nacheinander steigen verschiedene Ideen ein, die ich jedoch nach und nach wieder hinaus komplementiere, weil sich irgendwie nichts davon richtig und logisch anfühlt. Die Auflösung bringt dann endlich alles ans Licht. Obwohl die Geschichte in sich schlüssig erdacht ist, wirkt sie häufig starr, konzentriert und zum Schluss hin zunehmend an den Haaren herbeigezogen. Aber hey, wir befinden uns in einem Buch, nicht in der Wirklichkeit. Es darf also fiktiv und irreal verknüpft und verknotet sein. Das ist für mich ok, solange die Erzählwelt keine Brüche bekommt – und das tut sie nicht.
Die zwei älteren Thriller der Autorin („Im dunklen, dunklen Wald“ und „Woman in Cabin 10„) haben mir besser gefallen als der neue, den ich aufgrund der gemächlichen Erzählweise eher als Spannungsroman bezeichnen möchte Dennoch bietet „Wie tief ist deine Schuld?“ gute Unterhaltung, vor allem in der zweiten Hälfte, wenn die Geschichte Fahrt aufnimmt und endlich zum Kern der Sache kommt.
Julia Nachtmann fängt die Verzweiflung der Frauen gut ein, dieses hin- und hergerissen Sein zwischen Erinnerungen, der andauernden und vor allem der immer größer werdenden aktuellen Angst. Selbst den Längen vermag sie häufig eine subtile Spannung einzuhauchen, sodass ich trotz der als häufig eher seicht empfundenen Handlung an ihren Lippen hing und unbedingt wissen musste, wie sich alles aufklärt.
Wie schön, dass du meinen Beitrag gelesen hast!
Auf den Seiten dieses Blogs halte ich euch bei Facebook (Irve liest) und auf Insta (irveliest) auch zwischen Rezensionen , Rückblicken und Leselisten rund ums Buch auf dem Laufenden.
Schaut gerne mal vorbei!
Inhalt
Auf dem Salten House-Internat waren Kate, Fatima, Thea und Isa die engsten Freundinnen. Die Spezialität der eingeschworenen Clique: Lehrer und Mitschüler durch das so genannte »Lügenspiel« in die Verzweiflung zu treiben, bei dem nur eine einzige Regel galt: Niemals eine der anderen anlügen. Jahre später erreicht Isa ein Hilferuf von Kate: Am Fluss neben ihrem Haus in Salten wurden menschliche Überreste gefunden – und alle vier Frauen ahnen, was dahinter steckt. Denn vor all den Jahren, nach jenem besonderen Sommer, gingen sie nicht ohne Grund auseinander…
»Ich brauche Euch«
Obwohl Isa die Nummer nicht kennt, weiß sie von wem die SMS stammt, die sie eines Nachts aus dem Schlaf reißt. Sie weiß auch, was die Nachricht bedeutet. Und dass es darauf nur eine mögliche Antwort gibt: „Ich komme“. 17 Jahre sind vergangen, seit sie zum letzten Mal im Zug von London nach Salten saß. Isa ist nicht mehr das schüchterne Schulmädchen von damals, sie ist Mutter und glücklich verheiratet. Doch die Vergangenheit hat sie tief in ihrem Innern nie losgelassen. Und sie ahnt, dass das Lügenspiel, das vor so vielen Jahren als Scherz unter Freundinnen begann, noch lange nicht vorbei ist. Ein abgelegenes Internat, eine baufällige Mühle und die malerischen Landschaften Südenglands – Ruth Ware schafft für ihren Thriller Schauplätze, die atmosphärischer nicht sein könnten. Wer sagt die Wahrheit? Wer lügt? Und wer hat schon vor 17 Jahren gegen die ungeschriebenen Spielregeln verstoßen?
Autorin
Ruth Ware wuchs im englischen Sussex auf. Nach ihrem Studium zog sie nach Paris und arbeitete als Kellnerin, Buchhändlerin, Englischlehrerin und Pressebeauftragte. Heute lebt sie mit ihrer Familie in London. »Im dunklen, dunklen Wald« ist ihr Debütroman, der in den USA begeistert von der Presse aufgenommen wurde.
Sprecherin
Julia Nachtmann, geboren 1981, hatte Engagements an diversen deutschen Theatern. So gehörte sie zum Ensemble des Deutschen Schauspielhauses Hamburg und wurde für ihre darstellerische Leistung mit dem Boy-Gobert-Preis ausgezeichnet. Darüber hinaus war sie in der Kinokomödie »Die Kirche bleibt im Dorf« und in Fernsehserien wie »Der Dicke« zu sehen. Sie hat bereits zahlreiche Hörbücher eingelesen.
Quelle: Der Audio Verlag