*+* Patricia Koelle: „Der Himmel zu unseren Füßen“ *+*

Als Birke eine Arbeitsstelle auf Föhr angeboten wird, weiß sie noch nicht, wie viel ihr diese bedeuten wird. Als Sekretärin von Frau Dr. Kilian hat sie die Aufgabe, deren Leben in einem Buch umzusetzen. So taucht Birke ein in die Erinnerungen, Foto- und Gedankenwelt der einzigartigen Frau. Sie erzählt Birke aus ihrem erfüllten Leben mit ihrem Mann und möchte diesem gemeinsamen Glück ein Denkmal setzen, indem sie Birke diese Rückblicke niederschreiben lässt.

Glückliche Erinnerungen sind wohltuende Medizin. Sie können zwar die äußeren Bedingungen des Lebens nicht ändern, denen man oft ungefragt ausgesetzt ist, aber sie können dem Grauen die Spitzen nehmen und für zeitweises inneres Wohlbefinden sorgen. Eine Wirkung, die für die Romanfiguren unbezahlbar ist. Denn Deutschland erlebt gerade eine furchtbare Zeit. Wir schreiben das Jahr 1944 und der Zweite Weltkrieg greift mit seinen immer unbarmherzigeren Klauen um sich und nimmt sich alles, was er kriegen kann. Die Männer fallen, die Nahrung wird knapp, die Hoffnung sinkt. Umso wichtiger sind die Farben glücklicher Erinnerungen. Je intensiver, kräftiger und vielfältiger sie sind, umso besser kann man sein gestärktes Inneres dem entsetzlichen Äußeren entgegenstellen. Birke lebt immer wieder auf, wenn sie in die schillernden Erinnerungen eintauchen kann, während der Krieg die Welt in ein immer dunkleres Grau taucht. Man kann die Geschehnisse leider nicht beeinflussen, man hat nur die Wahl, wie man mit ihnen umgeht.

Als Birkes Arbeitsauftrag beendet ist, geht sie nach Amrum, um ihrer Tante zu helfen. Die ist nicht mehr die Jüngste und auf dem Bauernhof gibt es immer viel zu tun. Das ist auch gut so, denn auf der Fähre hatte Birke ihren Jugendfreund Gunne getroffen und musste direkt wieder Abschied von ihm nehmen, denn der Kriegswahnsinn machte auch vor seiner Einberufung nicht halt. So bringt Birke nun Tag für Tag hinter sich, getrieben von der ständigen Sorge um den Mann, für den sie eine ganz eigentümliche Art von Liebe empfindet. Durch ihre Arbeit auf dem Hof ist die junge Frau meist gut von ihren Sorgen abgelenkt. Als dann ein unnahbarer Fremder mit einem Kind auf die Insel kommt, hat Birke endlich eine neue Lebensaufgabe gefunden. Sie möchte den beiden ein Gefühl von Heimat schenken, was ich ganz wunderbar fand. Den Kopf in den Sand zu stecken, bringt ja schließlich keinem was, und wenn man aktiv wird und anderen Freude schenkt, beschenkt man letzten Endes auch immer sich selbst.

Schon mit den ersten Sätzen hat mich Patricia Koelle wie gewohnt eingefangen. Direkt mit dem Romanbeginn war ich mittendrin in der Geschichte, fühlte mich wohl inmitten der aus früheren Büchern bereits bekannten Lieblingsromanmenschen. Ich spürte deren Armut und Sorge, aber noch viel mehr ihre Herzlichkeit und den Zusammenhalt, der ihnen immer wieder Kraft schenkte, um die schwere Zeit gemeinsam zu überstehen. Ich bewunderte ihre ganz spezielle Art und Weise, mit den gegebenen Umständen umzugehen. Nur nicht unterkriegen lassen, so lautete das Credo, – etwas, wovon sich die heutige Gesellschaft hin und wieder eine Scheibe abschneiden könnte. Nicht jammern, sondern handeln und obendrein noch glücklich sein, das können meine Romanfreunde! Sie zeigen, dass das gar nicht immer so schwer ist, wie man denkt. Zaubern kann niemand, aber wenn viele Menschen viele kleine Wunder vollbringen, kommt es dem manchmal nahe.

Diese zauberhafte Stimmung im Roman, die wie aus Zeit und Welt gefallen zu sein scheint, wirkte an vielen Stellen magisch auf mich. Die Kulisse, der Menschenschlag, der unkomplizierte Umgang mit neuen Herausforderungen, die Hoffnung, die man nie sterben ließ und diese allgegenwärtige Geborgenheit, die über die Buchseiten hinaus auch mich einfing. Die Warmherzigkeit, dieses Miteinander, das ist, was die Welt gerade so nötig braucht. Das Rumlamentieren und Jammern, was an vielen Stellen aktuell um sich greift, kann man auch über das Buch hinaus gegen den zielstrebigen Willen ersetzen, Probleme lösen zu wollen anstatt sie hin und her zu schieben. Danke für die Inspiration!

Der Titel des Romans ist sehr gut gewählt. Auch wenn das Schicksal es gerade nicht so gut mit einem meint, gibt es dennoch genug vermeintlich kleine schöne Dinge, die uns zu Füßen liegen. Wir müssen nur hinsehen und diese Chancen des Glücks annehmen. Außerdem lässt sich das wahre Glück nicht in materiellen Dingen messen. Freundschaft, Liebe und Erinnerungen, gemeinsame oder auch fremde Geschichten verbinden und machen glücklich.

„Der Himmel zu Füßen“ ist ein wunderschöner Roman, der dem Grauen des Kriegs meisterlich und zauberhaft mit seiner einzigartig umgesetzten Geschichte begegnet. Von mir gibt es eine ganz klare Lese- und Schenk-Empfehlung, vor allem für die nahende Vorweihnachtszeit!

Inhalt
Birke nimmt auf der Insel Föhr eine Stelle als Sekretärin an. Die neue Arbeitgeberin bringt unerwartet Licht in ihre Welt, die der Krieg so dunkel gemacht hat. Auf der Fähre trifft Birke ihren Jugendfreund Gunne wieder, der zur Armee muss. Die Angst um ihn lässt Birke nicht mehr los.
Als ihre Arbeit endet, zieht sie nach Amrum, um ihrer Tante Ida in dieser schweren Zeit auf dem Bauernhof zu helfen. Dort begegnet sie einem unhöflichen Fremden, der sie seltsam anzieht. Wenn sie doch wenigstens dem Jungen helfen könnte, den er bei sich hat und der ein warmes Bett und ein richtiges Weihnachtsfest verdient hätte…

Autorin
Patricia Koelle ist eine Berliner Autorin mit Leidenschaft fürs Meer – und fürs Schreiben, in dem sie ihr immerwährendes Staunen über das Leben, die Menschen und unseren sagenhaften, unwahrscheinlichen Planeten zum Ausdruck bringt. Bei FISCHER Taschenbuch lieferbar ist die Ostsee-Trilogie mit den Bänden ›Das Meer in deinem Namen‹, ›Das Licht in deiner Stimme‹ und ›Der Horizont in deinen Augen‹, außerdem der alleinstehende Roman ›Die eine, große Geschichte‹. ›Wenn die Wellen leuchten‹ ist der erste Band ihrer Nordsee-Trilogie, die auf Amrum spielt, ›Wo die Dünen schimmern‹ der zweite. ›Ein Engel vor dem Fenster‹ ist eine Sammlung von Wintergeschichten.
Quelle: Fischerverlage

Über irveliest

Wie ihr euch sicher schon denken könnt lese ich sehr gerne, am liebsten Krimis und Thriller, aber auch niveauvolle Romane, Kinder- und Jugendbücher. Meine Lieblingsbuchhandlungen sind unsere kleine Buchhandlung am Ort und zum ordentlichen Stöbern Thalia in der Nachbarstadt. Online stöbere ich am liebsten bei lovelybooks und auch bei Amazon nach Büchern...
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