Während eine Naturkatastrophe das Land heimsucht, bringt die Hauptfigur der Novelle ihr erstes Kind zur Welt.
Megan Hunter schildert diese beiden großartigen Gewalten – auf der einen Seite die brachiale Macht der Natur, auf der anderen Seite die zu erwartenden zarten Mutter-Kind-Bande – auf eine Art und Weise, die ihresgleichen sucht – ich jedenfalls habe mit diesem Schreibstil zuvor noch keine Bekanntschaft gemacht.
Die Autorin bildet die Gleichzeitigkeit von allem ab – das Außen und das Innen, die Unausweichlichkeit der Situation, sowie die verschiedenen Handlungstränge.
Die verschiedenen Handlungen, Rückblicke, Erinnerungen werden bruchstückhaft offenbart. Prinzipiell gefällt mir die Idee, eine solche Geschichte derart puristisch zu halten. Die Konzentration auf das Wesentliche zu lenken. Jedoch waren einige Dinge für mich persönlich nicht plausibel genug gehandhabt, bzw. sind einige Details völlig untergegangen, die mir noch wichtig gewesen wären. Das ist zum einen die Seite der Emotionen. Die Hauptprotagonistin wirkt emotionslos – man funktioniert in Katastrophen- und Krisensituationen ja oft wie auf Automatik gestellt -, aber ich habe bei ihr jegliche Gefühle, egal in welcher Hinsicht, vermisst. Selbst die Verbindung zum Kind kommt mir nicht wirklich innig vor. Aber jeder Mensch ist anders und fühlt und reagiert anders.
Zum anderen mag ich es sehr – inhaltlich schlanker Stil hin oder her – wenn ich erfassenen kann, worum es geht und auch ein paar Hintergrundinfos an die Hand bekomme. Wissen, das mir hilft, die Lage einzuschätzen und die Reaktionen der Charaktere nachvollziehen zu können. So war in dieser Novelle vieles äußerst vage gehalten. Der Leser erhält dadurch sehr viel Raum für eigene Mutmaßungen und Spekulationen und dennoch lässt sich einiges aufgrund logisch anmutender Lücken nicht ansatzweise erfassen.
Möglicherweise war es aber auch nicht der Autorin Ziel, ein hieb- und stichfestes Szenario zu erschaffen. Der Inhalt, den sie ihrer Novelle zugedacht hat, gleicht einem Skelett, das nach persönlichen Belangen mit Leben ummantelt werden kann. Nichts ist wirklich konkret, vieles beliebig. Die Protagonisten werden nicht mit Namen versehen, sie werden nur mit dem Anfangsbuchstaben ihres Namens benannt. Man ist austauschbar, ein solches Schicksal könnte jeden treffen. Und auch dieses Schicksal selbst ist durch seine unkonkrete Schilderung variabel und in seinen Ausmaßen und Auswirkungen individuell interpretierbar.
Sehr gut gefällt mir die Sprache. Diese Punktlandung der Formulierungen, dieser minimalistische, puristische Stil. Die stellenweise eingeworfenen poetischen Passagen, die aus verschiedenen Überlieferungen zur Entstehung der Welt entnommen zu sein scheinen, das alles habe ich während des Lesens als außergewöhnlich, interessant und auch ansprechend empfunden.
Jedoch konnte mich das Buch in Bezug auf seine inhaltliche Umsetzung nicht überzeugen. Das Hauptaugenmerk war mir zu sehr auf den skeletthaften Stil gerichtet und der Rest wurde sehr stiefmütterlich behandelt.
So dramatisch sich die Lage im Verlauf der Erzählung auch zuspitzt, so vergleichsweise abrupt kam dann das Ende von allem – jedoch empfand ich es eher als einen Anfang mit vielen Optionen für den Neubeginn. So finde ich den Titel der Novelle „Vom Ende an“ sehr gut gewählt.
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Inhalt
Eine Frau, die Erzählerin, bekommt ihr erstes Kind. Gleichzeitig sucht eine gewaltige Naturkatastrophe das Land heim. Eine Flut überschwemmt weite Teile Englands, Feuer brechen aus. Die Frau und ihr Gefährte müssen mit ihrem kleinen Sohn den Ort verlassen, Zuflucht suchen, sich auf eine Insel flüchten. Die kleine Familie wird getrennt. Der Schrecken eines sich steigernden Umweltdramas und die Intimität und das Glück einer Mutter-Kind-Liebe entfalten sich parallel. Mit den Augen eines Neugeborenen wird eine Welt entdeckt, die sich zugleich womöglich zu verabschieden droht.
Lyrisch und lakonisch, durchsetzt mit Passagen, die sich wie Bibelzitate lesen, von archaischer Wucht und poetischer Zartheit, klug, komisch, dann wieder wie in Stein gemeißelt – einen solchen Text hat man lange nicht mehr zu lesen bekommen. Wie ein weibliches Gegenstück zu Cormac McCarthys „Die Straße“, gleichzeitig beklemmend wahrscheinlich und doch von geschichtsloser Wahrheit, präzise und schön – hier ist eine neue Autorin zu entdecken!
Die Novell wurde von Karen Nölle aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.
Autorin
Megan Hunter, geboren 1984 in Manchester, lebt mit ihrer Familie in Cambridge. Hunter hat englische Literatur studiert und stand mit ihrer Lyrik auf der Shortlist des Bridport Prize. Ihre Erzählung „Selfing“ war nominiert für den Aesthetica Creative Writing Award. „Vom Ende an“ ist ihr erstes Buch, die Rechte wurden auf Anhieb in zahlreiche Länder verkauft.
Quelle: C.H. Beck Verlag