Schon alleine der Gedanke, sein Baby lediglich in Gesellschaft eines Babyfons zuhause zurücklassen, während man selbst nebenan einen netten Abend bei den Nachbarn verbringt, hat mir – vor allem, seit ich Kinder habe – immer die Nackenhaare aufstellen lassen. Auch Anne ist nicht wohl dabei, aber ihr Mann Marco überredet sie, es trotzdem zu tun. Schließlich wolle die Gastgeberin kein Baby beim gemütlichen Abend dabei haben und außerdem sei das bereits erwähnte Babyfon ja eingeschaltet. Und wenn alle halbe Stunde mal jemand nach der Kleinen schaue, könne doch nun wirklich nichts passieren. Ein bisschen blauäugig gedacht, wie wir ganz schnell erfahren werden, oder?
Die Verzweiflung und die Fassungslosigkeit, die Anne bei einem ihrer Kontrollgänge verspürt, als das Baby nicht in seinem Bettchen liegt, sind mit den Händen greifbar. Die Frau tat mir so leid. Sie wollte Cora ursprünglich nicht alleine lassen, und ihre schlimmsten Befürchtungen haben sich nun bewahrheitet. Aber sie leidet auch auf anderer Ebene. Seit der Geburt plagen sie postnatale Depressionen, manchmal fehlen ihr auch Erinnerungsfetzen für wichtige Details. Sie quält sich mit dem Gedanken, selbst etwas mit dem Verschwinden des Babys zu tun haben zu können.
Auch Marco fühlt sich schuldig. Er kann Cora in ihren depressiven Phasen nicht helfen, auch hat er keine Möglichkeit, Annas amnesische Phasen mit Inhalten zu füllen. Aber da sind noch mehrere Dinge, die ihn in mehr oder weniger große Verzweiflung stürzen, die von der Autorin im Verlauf des Thrillers aufgedeckt werden.
Anna kommt aus reichem Hause. Ihrer Mutter und vor allem dem Stiefvater war Marco nie genug für die Tochter. Als er für sein Unternehmen eine Finanzspritze brauchte, war zwar Hilfe zur Stelle, aber wie so oft scheint auch hier Geld die Freundschaft und familiären Bande arg strapaziert zu haben. So ist das Verhältnis zwischen Marco und seinen Stiefeltern angespannt, was man sehr deutlich spürt, als diese zu Annes Trost zum Ort des Geschehens kommen. Aber sollte man in einer solchen Ausnahmesituation nicht alle Zwistigkeiten, jeden Streit beiseite schieben und sich nur dem gemeinsamen Problem widmen? Das machen die Protagonisten tatsächlich trotz aller Disharmonien – aber wie sie das tun, sorgt für viele Überraschungen und Wenden.
Auch die Nachbarn sind einen zweiten Blick wert. Sie sind nicht ausschließlich ein Vorzeige-Ehepaar, denn sie pflegen ein kleines außergewöhnliches Hobby, das der Auflösung des Falls glücklicherweise zuträglich ist.
Nicht nur den Leser beschleicht sehr schnell das Gefühl, dass irgendetwas an Coras Entführung nicht stimmt, irgendetwas sehr seltsam anmutet – nur was? Wie gut, dass Inspektor Rasbach mit dem Fall betraut wird. Seine Arbeit als gründlich zu bezeichnen, wäre eine Beleidigung. Er stellt akribisch jede noch so kleine Spur, jedes noch so harmlose Detail, jede noch so nebensächliche Aussage auf den Kopf, hat definitiv etwas von einem Wadenbeißer, ermittelt unerbittlich in alle Richtungen und kommt der Lösung immer näher. Als schließlich noch weitere Hilfe von gänzlich unerwarteter Stelle kommt, ist der Fall geklärt – mitsamt seines Rattenschwanzes, den der Inspektor komplett ausgegraben hat.
Die Autorin erzählt chronologisch von der Entführung und den Ermittlungen. Verfasst ist der Thriller in der dritten Person, meistens aus Sicht von Anne oder Marco, manchmal liegt der Fokus aber auch auf den anderen Beteiligten. Dadurch lernt man alle Protagonisten gut kennen und ist dem Geschehen sehr nahe. Das wird durch das als Erzählzeit verwendete Präsens noch verstärkt. Mir gefiel dieser intensive, authentische Stil sehr gut. Shari Lapena gewährt allerdings keine umfassenden Einblicke in die Gedanken und das Leben der Charaktere, man erfährt nur Fragmente, sodass die Protagonisten über weite Strecken des Thrillers geheimnisvoll und undurchsichtig bleiben. Ich wusste bis kurz vor Schluss nicht, wer vertrauenswürdig und ehrlich ist, und wer seine Spielchen mit den anderen trieb. Innerlich habe ich sie alle unter die Lupe genommen, meine Gedanken immer wieder hin- und hergedreht. Wer könnte involviert sein? Wer ist schuld? Wird Cora gefunden werden? Ich hoffte und bangte, dem Baby möge bloß nichts passiert sein.
Durch Mona vom Tintenhain (Rezension) bin ich auf dieses Spannungs-Juwel aufmerksam geworden und wurde schnell hochgradig infiziert.
„Atemlos durch die Nacht“, so könnte man meine Zeit mit dem Thriller kurz und knapp zusammenfassen.
„The Couple Next Door“ hat mich rundum sehr begeistert und mir großartige psychospannende Lesestunden ohne großes Blutvergießen beschert. Ich hoffe sehr, bald mehr von dieser Autorin lesen zu können!
Inhalt
Deine Nachbarin möchte nicht, dass du dein Baby zur Dinnerparty mitbringst. Dein Ehemann sagt, das sei schon in Ordnung. Ihr wohnt ja gleich nebenan. Außerdem habt ihr ein Babyfon und könnt abwechselnd nach der Kleinen sehen. Deine Tochter schläft, als du das letzte Mal nach ihr siehst. Doch jetzt herrscht Totenstille im Haus. Du rennst ins Kinderzimmer – und dein schlimmster Alptraum wird wahr: Die Wiege ist leer.
Es bleibt nur eins: die Polizei zu rufen – doch wer weiß, was sie finden wird …
Autorin
Shari Lapena arbeitete als Rechtsanwältin und Englischlehrerin, bevor sie sich dem Schreiben von Romanen widmete. The Couple Next Door ist ihr Thrillerdebüt, und schon vor seiner Veröffentlichung sorgte das Buch international für Furore. Der Roman wurde in bislang 28 Länder verkauft, stand wochenlang unter den Top Ten der Sunday Times-Bestsellerliste und wurde hymnisch besprochen. Shari Lapena lebt in Toronto und arbeitet derzeit an ihrem zweiten Thriller.
Quelle: Bastei Lübbe
Oh, wie wunderbar! Ich freue mich, dass dir das Buch auch so gut gefallen hat!
Danke für die Verlinkung!
Liebe Grüße
Mona
Sehr gerne! Ja, der Thriller war super :-)
Liebe Grüße zurück, Heike
Hallo Heike,
ich hab es vor kurzem als Hörbuch gehört, die Rezi folgt noch.
Ganz so begeistert wie du war ich allerdings nicht. Es war nicht schlecht aber so richtig vom Hocker gerissen hat es mich leider auch nicht. Mir lagen zb. die Charaktere absolut nicht und es war mir zu vorhersehbar.
So kanns gehen :)
LG Ela